Orientierung durch Orthodoxe Dogmatische Erläuterung

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Kapitel 1 // Kapitel 3

 

Leben  im Leibe Christi  ( Einführung in die Orthodoxie )

 

2. Der Rettende Glaube


 

Die Grundlage der orthodoxen Spiritualität ist der Glaube. Seit dem Schisma und besonders seit den ersten Kontakten der Protestantischen Welt mit dem Orthodoxen Osten (16. Jh.), fanden wiederholt theologische Gespräche statt über die Bedeutung des Glaubens als Heilsfaktors. Vor allem in den heutigen zwischenchristlichen Beziehungen ist eine Verwirrung bezüglich der eigentlichen Bedeutung des Glaubens zu beobachten, obwohl dieser das Fundament ist, auf dem wir unser christliches Leben und unsere Bemühungen um Einheit aufzubauen haben.

Das verschiedenartige Verständnis und die verschiedenartige Annahme des Glaubens unter den Christen ist wohl das Ergebnis ihrer Teilung und des Verlustes der alten Kirchlichen Tradition seitens eines großen Teils der christichen Welt. Denn in der Zeit vor dem Schisma war die Betrachtung des Glaubens im Osten wie im Westen einheitlich; sie brachte zahlreiche Heilige, d.h. Vergottete (der Gnade nach), hervor, die die unanfechtbare Garantie der Richtigkeit des kirchlichen Glaubens sind, da er ja offensichtlich zum Ziel der göttlichen Fleischwerdung führen kann, nämlich zur VergottungRettung. Unsere Schwierigkeit heute, uns dem Glauben der Kirche in rechter Weise zu nähern, ist hauptsächlich darauf zurückzuführen, daß die Personen, denen es gelingt, lebendige Träger des Glaubens zu werden und die kirchlichen Dogmen in Leben und Erfahrungen umzuwandeln, eine Seltenheit sind. Denn nur diejenigen, die den Glauben im Heiligen Geiste zur Lebensweise machen, können uns unfehlbar lehren, was Glaube bedeutet und wie dieser zur Rettung führt. Und dies sind die Heiligen Väter und Mütter aller Zeiten.

 

1. Der Glaube

Wenn wir das Wort «Glaube» gebrauchen, meinen wir damit zunächst die göttliche Offenbarung, den Inhalt der von Gott Selbst geoffenbarten rettenden Wahrheit (Fides quae creditur). Die göttliche Offenbarung aber ist nicht etwas AbstraktesSpekulatives, d.h. eine Summe theoretischer Wahrheiten, Ideen und Grundsätze, die der Mensch aufgerufen ist anzunehmen. Die göttliche Offenbarung kann niemals zur Ideologie werden, ohne vorher verfälscht zu werden und ihren Heilscharakter zu verlieren. Die Wahrheit der Kirche, als Leib Christi, ist die fleischgewordene Allwahrheit. Sie ist die Person des fleischgewordenen GottLogos, unseres Herrn Jesus Christus. Der unbekannte und unzugängliche Gott wurde (und wird immerwährend) bekannt in Christo. Er hat sich geoffenbart, d.h. er ist selbst erschienen mit der Fleischwerdung Seines ewigen und in gleicher Weise anfanglosen Wortes. Aber auch vor der Fleischwerdung zeigte Er sich mit der rettenden Energie des GottLogos im Alten Testament (siehe den Anfang des Hebräerbriefes: «Nachdem Gott vorzeiten zu vielen Malen und auf vielerlei Weise zu den Vätern geredet hat durch die Propheten, hat Er am Ende dieser Tage zu uns geredet durch den Sohn...»). Gott hat uns nach dem Hl. Johannes von Damaskus geoffenbart, «was uns möglich war, zu erkennen und was wir tragen konnten». Deshalb verkünden die Hl. Apostel und Väter, daß es in keinem anderen die Rettung gibt als nur in Christo, da allein Christus, als Gottmensch, die Menschen retten kann, d.h. mit Gott vereinigen kann.

Auf den geoffenbarten «Glauben» (der geglaubt wird = griechisch: ðéóôåýåôáé  kreditiert  im Menschen zu seiner Rettung) antwortet der Mensch mit seinem «Glauben» (fides qua creditur). Dieser zweite Glaube ist absolut notwendig zum Heil. Er ist der erste Schritt des Menschen zur Gotteserkenntnis. Seine Bedeutung betonte der Herr mit den Worten: «Wer glaubt und sich taufen läßt, wird gerettet werden», um hinzuzufügen: «Wer aber nicht glaubt, wird verdammt werden» (Mk 16,16).

Christus, als göttliche Selbstoffenbarung, ist unser «objektiver» Glaube. Unsere Antwort auf sein Angebot ist unser «subjektiver» Glaube. Der objektive Glaube muß auch zum subjektiven Glauben werden, damit die Rettung möglich ist. Und dies geschieht mit der Einwohnung des Ungeschaffenen im Geschaffenen, Gottes im Menschen. Das vom Herrn Geoffenbarte ist ein neues Leben, die «neue Schöpfung», das Christusleben. Dieses wird dem Menschen angeboten; in ihm ist der Mensch aufgerufen, wahrhaftig zu leben. Der Mensch wird aufgefordert, gläubig zu werden, die Wahrheit in Christo anzunehmen als Leben in Christo und diese Wahrheit zu leben, damit auch er ein wahrhaftiger wird wie Gott (1 Jo 5, 20); er wird aufgefordert, zur Wahrheit zu werden. Denn nur so kann er Gott erkennen (im Leben in Christo, mit seinem zur Wahrheit gewordenen Dasein), sich mit Gott vereinigen, vergottet werden.

Die Gotteserkenntnis ist keine logischintellektuelle Angelegenheit (wissenschaftliche Erkenntnis nach der heutigen Begrifflichkeit). Sie ist eine Lebenserkenntnis, eine existentielle, an der der ganze Mensch (als seelischleibliche Einheit) teilhat mit seiner ganzen Existenz. Aus dieser empirischen Annäherung und Erkenntnis Gottes entspringt das Dogma, die dogmatische Lehre der Kirche, und nicht aus der logischengnostischenmetaphysischenphilosophischen Annäherung Gottes. Das Dogma ist die Frucht dieser Erfahrung  persönlichen Erkenntnis Gottes.

Die Annäherung Gottes aber setzt den subjektiven Glauben des Menschen voraus. Daher ist es notwendig, diesen etwas näher zu untersuchen.

 

2. Der erste Glaube, der «einfache» Glaube, der «Glaube vom Hören»

Das Wort Gottes, Jesus Christus, erschien fleischgeworden und als Lehrer (Prophet) und Prediger der göttlichen Gnade. Er lehrt den Menschen aller Zeiten und offenbart sich lehrend dem Menschen; Er fordert ihn auf, Sein Wort, Seine Wahrheit anzunehmen. Die Anwort des Menschen auf das Wort Gottes ist der Glaube (siehe das Gleichnis vom Sämann). Dieser erste Glaube an das Wort Gottes, der bei den Vätern «erster», «einfacher» und «vom Hören» genannt wird, ist notwendig, weil er den Anfang der Gotteserkenntnis bildet. Wenn jemand nicht an die Existenz Gottes, des Vaters Christi, glaubt, hat er nicht die Möglichkeit, den Kampf zu seinem Heil aufzunehmen. Darum auch macht Christus mit seiner Lehre (und seiner ganzen Tätigkeit) den Vater bekannt (siehe Jo 14,9): «Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen»). Dieser erste Glaube des Menschen ist mit der natürlichen Erkenntnis verbunden, die als Organ die Logik (Vernunft) verwendet. So, wie wir zwei Arten von Glauben besitzen, besitzen wir auch zwei Arten von Erkenntnis und ebenfalls zwei Organe der Erkenntnis. Abbas Isaak sagt: «Eine andere ist die Erkenntnis, die dem Glauben vorausgeht, und eine andere die, die aus dem Glauben geboren wird. Die erste ist eine natürliche Erkenntnis und die andere eine geistliche Erkenntnis». Mit der natürlichenlogischen Erkenntnis, die ebenfalls ein Geschenk Gottes ist, können wir das Gute vom Bösen unterscheiden Wie jedoch führt uns die natürliche Erkenntnis zum Glauben? Verschiedene Gründe können unserer Vernunft den Anstoß geben, den sie benötigt, um zur Annahme der Existenz Gottes geführt zu werden. Gott benützt selbst die seltsamsten Mittel, um dem Menschen zu helfen, nach ihm zu suchen. So läßt Gott z.B. im Alten Testament den Esel des Bileam sprechen (Num 22, 28) oder Er wendet, wie der Apostel Paulus sagt, mittels der Schöpfung den Menschen zu sich (Rom 1, 20). Der göttlichste Weg aber ist der der Lehre und der Wunder, der «göttlichen Zeichen». Die Lehre und die Wunder Christi richten sich an die natürliche Erkenntnis des Menschen, um den «ersten» Glauben hervorzurufen.

Als der Herr z.B. die Fünftausend in der Wüste sättigte, «sagten» die Menschen, «als sie das Zeichen sahen, das Jesus gewirkt hatte: das ist wahrhaftig der Prophet, der in die Welt kommen soll» (Jo 6, 14). An einer anderen Stelle bemerkt der Evangelist Johannes: «Noch viele andere Zeichen, die nicht in diesem Buche aufgeschrieben sind, hat Jesus vor seinen Jüngern gewirkt. Diese aber sind aufgeschrieben, damit ihr glaubet, daß Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes, damit ihr glaubend Leben habt in seinem Namen» (Jo 20, 3031). Natürlich führt die natürliche Erkenntnis nicht alle zum Glauben (siehe die Schriftgelehrten und Pharisäer). Wenn der Mensch hartherzig bleibt, glaubt er nicht (siehe: «Auf daß sie sehend nicht sehen und hörend nicht verstehen», Lk 8,10). Dann wird der Mensch zum Tier (Ps 48, 13). Nach dem Hl. Isaak «entbehren wir aller gesagten Güter, wenn wir mit unserem genußsüchtigen Willen diese natürliche Erkenntnis verhüllen».

Der «einfache» Glaube, als intellektuellelogische Annahme der göttlichen Wahrheit, ist nicht ausreichend. Einen derartigen Glauben besitzt auch der Teufel. «Auch die Dämonen glauben das und zittern» (Jak 2, 19). Der «erste» Glaube ist dann richtig, wenn er auch «Werke» hervorbringt. «Der Glaube ist, wenn er keine Werke hat, für sich allein tot» (Jak 2, 1417). Die Werke des Glaubens sind die Konsequenz des gläubigen Menschen in der Annahme Christi, d.h. sein Vertrauen und Gehorsam den Geboten Christi gegenüber. (Siehe die Worte Christi vor einem Wunder: «Glaubt ihr, daß ich dies tun kann;» Mt 9,28; oder danach: «dein Glaube hat dir Heilung gebracht» Mt 9, 22  Mk 5, 34  Lk 8, 22 u.a).

Im kirchlichen Leben sind die Werke des «ersten» Glaubens, wie wir aus dem Leben unserer Heiligen wissen, der Kampf des Menschen, sein Herz von den Leidenschaften zu reinigen, um ein «reines Herz» zu erlangen mit der «Reinigung des Geistes». (Der Geist ist die Kraft und geistliche Funktion der Seele, die die ungeschaffene göttliche Gnade empfängt. Diese Kraft verwandelt sich unter bestimmten Voraussetzungen, die wir weiter unten untersuchen werden, in eine Gebetsfunktion im Herzen). So, wie sich der Kranke einer Therapie unterziehen muß, muß der Mensch auch eine geistliche Therapie annehmen, damit sein verfinsterter Geist  erleuchtet wird (Voraussetzung der Gotteserkenntnis). Die «Werke des Gesetzes» (siehe Römer  und Galaterbrief) sind die göttlichen Mittel der Therapie, die göttliche Medizin, um dem Menschen, der über den «ersten» Glauben verfügt, zu helfen, zur Reinigung des Geistes zu gelangen. Allein für sich genommen, besitzen die Werke des Gesetzes keinerlei Wert und sind nicht des Lohnes würdig, (vgl. Lk 17,10). Die Pharisäer besaßen zwar Gesetzeswerke, gelangten aber nicht zum Heil, weil sie nicht darum kämpften, ein «reines Herz» zu erlangen. Die Reinigung des Herzens ist die Voraussetzung der Gottesschau. «Selig die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen» (Mt 5, 8). Glaube ist also zunächst das Vertrauen des Menschen auf die Wahrheit des Wortes ChristiGottes und die Annahme und Durchführung dieses Wortes.

Was ist aber das Kriterium für den rechten Glauben? Diese Frage ist eng mit einer anderen verbunden: Warum ist es so absolut notwendig, daß der Mensch den rechten Glauben hat? Zunächst werden wir auf die letzte Frage und dann auf die erste antworten. Wenn die Erzählung vom Jüngsten Gericht (Mt 25) gedeutet wird, behaupten selbst Theologen, daß das Gericht sich nicht auf den Glauben des Menschen bezieht, sondern auf die «Liebe». Warum aber kämpfen die Hl. Väter so sehr darum, die Reinheit des Glaubens zu bewahren und wehren mit derartiger Ausdauer die verschiedenen Häresien ab?

Die Haltung der Hl. Väter den Häresien gegenüber steht in keinerlei Widerspruch zur Hl. Schrift. Denn die gleichen Hl. Väter betonen vom Heiligen Geist inspiriert, daß die Liebe, von der der Herr spricht, die uneigennützige Liebe ist, die Liebe also, die die erste Frucht des Hl. Geistes ist (Gal 5,22), die Liebe, die höher ist als der Glaube und die Hoffnung nach dem Ap. Paulus (1 Kor 13, 13: «am größten jedoch unter ihnen ist die Liebe»). Außerdem unterschied der Herr selbst Seine Liebe von der Liebe der Welt, Lk 6, 32: «Denn auch die Sünder lieben die, von denen sie geliebt werden». Wie die Erfahrung der Heiligen lehrt, kann niemand zur Liebe Christi gelangen, wie diese der Ap. Paulus beschreibt (1 Kor 13), wenn er nicht zunächst zur Erleuchtung des Hl. Geistes gelangt ist. In diesem Zusammenhang wird unser Zustand klar: Wir haben nicht einmal das Katechumenat durchlaufen in Bezug auf unsereren geistlichen Fortschritt, selbst wenn wir uns als Theologen, Denker oder Lehrer des Glaubens betrachten. Aber ohne den «ersten» Glauben, die «Tür der Mysterien» (Abbas Isaak) kann niemand zur Erleuchtung des Hl. Geistes gelangen. Daher braucht jeder Christ unbedingt den «ersten» Glauben. Ohne ihn kann er nicht die Gaben des Hl. Geistes erwerben.

So können wir nun das Kriterium des rechten Glaubens bestimmen:

Da der Glaube nicht eine einfache Bejahung, sondern eine bestimmte Lebensweise ist, kommt folglich der richtigenrechten Form seiner Weitergabe eine große Bedeutung zu; denn anderenfalls rettet er nicht. Und diese Form ist dann die richtige, wenn er den Menschen zum Heil führt, d.h. zur Reinigung des Geistes und zur Theoria (Gottesschau). Der Glaube unterliegt also einer Kontrolle genau wie auch die ärztliche therapeutische Methode, die dann die richtige ist, wenn sie zur Heilung führt. Genau darin ist die unerschütterliche Gewißheit begründet, daß nur die Orthodoxie der Väter den rechten Glauben hat, da nur sie HeiligeVergottete hervorbringt (siehe die wohlriechenden und unversehrten Reliquien).

Den Inhalt des rechten Glaubens kennen diejenigen, die zur Erleuchtung und Vergottung gelangt sind, die Heiligen. Daher sind die Heiligen unsere Väter und Lehrer. Als Lehrer der geistlichen und himmlischen Schule der Kirche unterrichten sie ihre Schüler (die geistlichen Kinder) die Methode der Rettung. Den Inhalt des rechten Glaubens kennen die Heiligen nicht aufgrund von Gedankenkonstruktionen, sondern aus ihrer persönlichen Erfahrung in der Gnade des Hl. Geistes. Die Dogmen der Kirche sind die «offizielle» synodale Formulierung dieser Erfahrung, die im Alten und Neuen Testament oder in Synoden niedergeschrieben wurde und von den Heiligen immerfort gelebt wird (siehe das Leben der Heiligen). Die Dogmen beschreiben den Weg unserer Vergottung. Sie ziehen die Grenzen dieses unseres Weges; daher heißen sie auch «üñïé Grenzen» des Glaubens. Deshalb haben die Dogmen eine so große Bedeutung, und aus diesem Grund kämpfen die Heiligen alle diese Kämpfe zur Bewahrung ihrer Reinheit. Denn sie sind der Ausdruck des wahren kirchlichen Glaubens, der allein zur Vergottung führen kann. Wenn jemand zur Vergottung gelangt, verlieren die Dogmen ihre Bedeutung; dann haben sie ihre Funktion erfüllt. Das einzige, was «immer» (ewig) bleibt, ist die Liebe, die «niemals aufhört» (1 Kor 13, 8), wenn sie zur uneigennützigentrinitarischen Liebe wird. Falsche Dogmen führen zum falschen Glauben und machen die Therapie unmöglich. Dieser falsche Glaube ist der der Häretiker, der natürlich nicht retten kann.

Es muß jedoch betont werden, daß der «hohe» Glaube der Anfang der Rettung ist, und nicht die Rettung selbst. An diesem Punkt irren die, die glauben, daß sie mit dem «ersten» Glauben gerettet werden. Als der Ap. Paulus zum Kerkermeister von Philippi sagte (Apg 16, 31): «Glaube an den Herrn Jesus, so wirst du samt deinem Hause gerettet werden», meinte er damit: Nimm in Vertrauen die Methode der Rettung an, die Christus anbietet (= die therapeutische Methode Christi), und du wirst gerettet werden. Du wirst nämlich zu dem von Gott vorherbestimmten Ziel der menschlichen Existenz gelangen, d.h. zur Vergottung.

Aber auch wir Orthodoxe irren, wenn wir glauben, daß die Kenntnis des Glaubens nur eine Angelegenheit des Klerus und der Theologen ist. Diese Ansicht führt zum «Pietismus» (Verneinung des Dogmas durch dessen Verdrängung). Der «erste» Glaube (Annahme und Halten der Gebote) ist notwendig, um das erste Stadium des geistlichen Lebens zu durchlaufen, die Reinigung des Herzens, die die Voraussetzung zur Erleuchtung des Hl. Geistes ist. Unser ganzes kirchliches Leben hat zum Ziel, daß der Gläubige den Hl. Geist erlangt, Tempel des Hl. Geistes wird; denn anderenfalls wird er nicht gerettet, «ererbt» nicht «das Himmelreich» (Paradies). Die Hl. Väter betonen dies sehr oft. Charakteristisch sind die Worte des Hl. Makarius von Ägypten: «Derjenige, der sich bemüht, zu glauben und zum Herrn zu gelangen, soll darum flehen, in diesem Leben hier den Hl. Geist zu empfangen. Denn Er ist das Leben der Seele. Darum kam Christus in die Welt, damit Sein Hl. Geist der Seele Leben schenke [...]. Wenn jemand also nicht hier, von jetzt an, das Leben, das das Licht des Hl. Geistes ist, suchte und es nicht in seiner Seele erhielt, dann wird ihm, wenn er stirbt, bereits der finstere Ort zugeteilt sein zur Linken des Herrn».

Welche Werke aber bringt der «erste» Glaube hervor? Der Hl. Symeon, der Neue Theologe (11. Jh.) spricht über Tugenden, die der «erste» Glaube hervorbringt: «Erkennungsmerkmal der wirklichen Gläubigen ist, daß sie in keinem Fall die Gebote Gottes überschreiten. Der Glaube an Gott ruft den Wunsch nach guten Dingen hervor und die Furcht vor der Verdammnis. Der Wunsch nach guten Dingen und die Furcht vor der Verdammnis führen zur genauen Einhaltung der Gebote. Die Einhaltung der Gebote wiederum offenbart die menschliche Schwäche. Das Begreifen der menschlichen Schwäche ruft das Gedächtnis unseres Todes hervor. Derjenige aber, der es erreicht, dieses Gedächtnis des Todes zu seinem Mitbewohner zu machen, wird beharrlich zu erfahren suchen, welches der Zustand nach seinem Tod sein wird. Wer sich jedoch dafür interessiert, über die Dinge nach dem Tod etwas zu erfahren, hat zunächst alle Vergnügungen der Welt von sich fernzuhalten. Denn wer auch nur an eine der kleinsten von diesen gefesselt ist, kann die vollkommene Erkenntnis nicht erlangen». Die Tugenden, die der «erste» Glaube hervorbringt, befinden sich in einer Beziehung gegenseitiger Abhängigkeit, weil die eine die andere hervorbringt. Auch der Hl. Maximus der Bekenner sagt: «Wer an den Herrn glaubt, fürchtet die Verdammnis. Die Verdammnis fürchtend, hält er sich von den Leidenschaften fern. Derjenige, der sich von den Leidenschaften fernhält, erträgt die Betrübnisse. Die Betrübnisse ertragend, erwirbt er die Hoffnung auf Gott. Der auf Gott Hoffende trennt seinen Geist von allen irdischen Dingen, d.h. er erwirbt die Leidenschaftslosigkeit.

Und wenn der Mensch seinen Geist von allem Irdischen abtrennt, erwirbt er die göttliche Liebe».

Der «erste» Glaube rettet nicht, aber er öffnet den Weg zur Rettung, die allein mit dem vollkommenen oder innersten Glauben möglich ist.

 

3. Vollkommener oder innerster Glaube

Er wird «vollkommen», «groß», «innerster», «von der Schau» genannt. Er ist der Glaube, der rettet. Er ist die Bestätigung der Rettung. Der «erste» Glaube ist mehr eine menschliche Leistung (natürlich immer mit der Zusammenarbeit des Hl. Geistes). Der vollkommene oder innerste Glaube ist die reine Frucht und das reine Geschenk des Hl. Geistes. Um diesen zu erwerben, muß man zunächst den Hl. Geist empfangen. Die Erwerbung des Hl. Geistes ist das Hauptziel des Christen (siehe die Worte des Herrn: «Empfanget den Hl. Geist» und was er zu Beginn der Apg. über das Kommen des Hl. Geistes sagt). Wenn jemand nicht die richtige Methodig, die richtige therapeutische Methode befolgt, wird er nie zu diesem Ziel gelangen. Daher auch beten wir ständig: «Himmlischer König [...] komm und nimm Wohnung in uns». Das Kommen des Hl. Geistes ist jedoch erst dann möglich, wenn wir unser Herz auf der Grundlage des «ersten» Glaubens und der ganzen Anstrengung des geistlichen Lebens (Askese) von den Leidenschaften gereinigt haben, wenn wir also das erste Stadium des geistlichen Lebens hinter uns gelassen haben. Die Askese öffnet den Menschen für den Hl. Geist und ist daher notwendig für alle Gläubigen und nicht nur für die Mönche.

In der Kirche der ersten Jahrhunderte wurden die Katechumenen erst dann getauft, wenn sie das Stadium der Reinigung durchlaufen hatten und sich an der Schwelle der ErleuchtungHeimsuchung des Hl. Geistes befanden. Es gibt die Wassertaufe (die der Buße), wie die des Vorläufers (Mt 8, 11), und die Taufe des Hl. Geistes und des Feuers, wie die der Hl. Apostel am Pfingsttag. Aber ohne die Reinigung des Menschen von den Leidenschaften wird die Taufe des Hl. Geistes nicht verwirklicht, d.h. der Hl. Geist wirkt nicht, Seine Gnade bleibt unwirksam. Die Sakramente haben keine magische Wirkung. Über Simon den Magier sagt der Hl. Kyrill von Jerusalem: «Er wurde getauft, aber nicht erleuchtet, den Körper benetzte er zwar mit Wasser, das Herz aber erleuchtete er nicht mit dem Geist».

Was geschieht aber mit der Kindertaufe? Das Kleinkind ist rein von den Leidenschaften und wird getauft, weil die gläubigen Eltern und der gläubige Pate dem Kind mit Sicherheit helfen werden, den Hl. Geist in sich zu bewahren. Mit der Verallgemeinerung der Kindertaufe jedoch sind sicherlich nicht immer die Voraussetzungen gegeben, die den Hl. Geist im Herzen bewahren. Der Getaufte und Erleuchtete fällt wieder in den Zustand der Verfinsterung des Geistes zurück; er verliert das ununterbrochene Gedächtnis Gottes.

Der Hl. Gregor vom Sinai (1213 Jh.) beschreibt diesen Fall sehr klar: «Da wir zur Zeit unserer Wiedergeburt mit der Taufe Kleinkinder waren, konnten wir weder die Gnade des Hl. Geistes empfinden noch unsere Erneuerung wahrnehmen. So konnten wir die große Ehre und Herrlichkeit, mit der wir ausgezeichnet wurden, nicht begreifen. Außerdem wußten wir nicht, daß wir die Pflicht hatten, mit dem Halten der Gebote geistlich voranzuschreiten, bis wir in den Zustand geraten würden, das zu sehen, was wir zum Zeitpunkt der Taufe erwarben. Durch unsere Nachlässigkeit also, wie auch durch die Neigung zu den Leidenschaften, die die meisten haben, verfallen wir der Gefühllosigkeit und dem Tod. So gelangen wir bis zu dem Punkt, nicht einmal mehr zu wissen, daß es Gott gibt, und zu verneinen, daß wir Kinder Gottes sind, Söhne des Lichtes und Glieder Christi».

Aus diesem Grund gibt es die Buße als zweite Taufe des Wassers und des Geistes, um die geistlich Gestorbenen wieder zu beleben. Die Buße ist der Kampf des Menschen, in Zusammenarbeit mit dem Hl. Geist wieder zur Reinheit seines Herzens zurückzukehren, um wiederum die Heimsuchung des Hl. Geistes zu empfangen. Lebendiges Glied der Kirche ist derjenige, der den Hl. Geist in sich hat, in seinem Herzen wohnend, und in ihm «mit unaussprechlichen Seufzern» (Röm 8, 26) betend. Dieser Mensch ist Tempel des Hl. Geistes ( 1 Kor 6, 19), «Tempel Gottes» (Kor 3, 16). Der «GeistesMensch» (im Gegensatz zum «fleischlichen» und dem «naturhaften», siehe 1 Kor 3, 1 und 2, 14) ist der «Geistesträger»; er gehört wirklich zu Christus. «Wenn aber jemand den Geist Christi nicht hat, so gehört dieser Ihm nicht an» (Rom 8. 9). Wer nicht den Geist Gottes in sich hat, ist nicht Glied des Leibes Christi. Diese Unterteilung (GeistesMensch, FleischesMensch, NaturMensch) halten auch die Hl. Väter aufrecht. Sie unterscheiden die Menschen in die «entsprechend der Natur», «entgegen der Natur» und «über der Natur» Lebenden. Die FleischesMenschen entsprechen den «entgegen der Natur», die NaturMenschen den «entsprechend der Natur» und die GeistesMenschen den «über der Natur» Lebenden.

Der Hl. Asket Markus schreibt zu diesen drei Gruppen: «Drei sind die geistigen Räume, in die der Geist eingeht, wenn er wechselt: entgegen der Natur, entsprechend der Natur und über der Natur. Wenn der Geist sich «entgegen der Natur» befindet, vergißt der Mensch die Gerechtigkeit Gottes und streitet sich mit den anderen Menschen, weil sie ihn angeblich ungerecht behandeln (FleischesMensch). Wenn der Geist jedoch in den Raum «entsprechend der Natur» einkehrt, dann entdeckt der Mensch sich selbst als Ursache der bösen Gedanken. Er bekennt Gott seine Sünden und kennt sehr genau die Ursache seiner Leidenschaften (NaturMensch). Wenn der Geist jedoch in den Raum «über der Natur» gelangt, empfängt er die Gaben des Hl. Geistes und erkennt, daß er, wenn er die Fürsorge für die leiblichen Dinge vorzieht, nicht dort verbleiben kann (GeistesMensch)».

Auf diesen Glauben (den vollkommenen) bezieht sich das Wort des Ap. Paulus: «Es ist aber der Glaube die wirkliche Existenz (im griechischen: Hypostasis) des Erhofften, ein Überzeugtsein von dem, was nicht gesehen wird» (Hebr 11, 1).

Das «Erhoffte» ist das Licht Gottes, Seine ungeschaffene Herrlichkeit (und natürlich nicht der «Gottesstaat»). Wir sehnen uns danach, dieses Reich zu schauen. Der innerste Glaube ist die Erfahrung der göttlichen Wirklichkeit, der Herrlichkeit Gottes. Zu dieser gelangen die Heiligen bereits auf dieser Welt, wenn sie der Vergottung teilhaftig werden, wie Paulus, der in diesem Leben die Erfahrung des Paradieses machte (2 Kor 12, 24). Das, was man «nicht sieht», ist ebenfalls die ungeschaffene Gnade und das ungeschaffene Licht Gottes, das man nicht mit den sinnlichen Augen sehen kann. Der innerste Glaube ist «elenchos» (Kontrolle), d.h. die Feststellung von dem, was man nicht sieht, mit den natürlichen Augen. Mit der Erleuchtung des Hl. Geistes gelangt der Mensch zur «Theoria», zur Schau der ungeschaffenen göttlichen Herrlichkeit. Er erhält so die innere Gewißheit der Existenz des Himmelreiches. Dann befindet sich der Glaube nicht mehr im Bereich der Vernunft, sondern im Herzen des Menschen; daher heißt er auch «innerster». Diese Wirklichkeit drückt das Wort des Apostels aus: «Wenn du in deinem Herzen an Jesus als den Herrn glaubst, wirst du gerettet werden» (Rom 10, 9).

Zum Verlauf des Glaubens können wir folgendes sagen: Der Glaube beginnt als logisches Verfahren  Energie im Sinne der Bejahung, Annahme und Treue zu Christus. Er endet jedoch in der inneren Gewißheit und Erkenntnis der Wirklichkeit des göttlichen Reiches. Genau diese Bedeutungen hat auch der Begriff «Glaube» in der griechischen Sprache: Vertrauen, Treue, Gewißheit. Der innerste Glaube ist der beste aller Gottesbeweise nach dem Hl. Gregor Palamas: «Der Glaube «, so sagt er,» ist besser als alle Beweise und wie ein unbeweisbarer Anfang eines heiligen Beweises» weil er eben Erfahrung, innere Gewißheit ist. Deshalb besitzt die Orthodoxie keine logischen Gottesbeweise; sie hatte sie auch nicht nötig. Das, was sie tut  wenn sie echte Orthodoxie ist  ist, den Gläubigen mittels eines geistlichen Vaters  Geron (Alten), Starez  zur Erlangung der inneren Voraussetzungen zu führen, die es ihm möglich machen, Gott als ungeschaffene Gnade selbst zu «sehen» und die innere Gewißheit Seiner Existenz und Seiner Anwesenheit unter uns und in uns zu haben.

Der vollkommene Glaube wird im Gläubigen geboren, wenn er zum Stadium der Erleuchtung seines Geistes vom Hl.Geist gelangt. Aus diesem Grund, weil er eben ein Glaube ist, von der Gottesschau kommt, heißt er auch «Glaube von der Theoria». Er ist ein übernatürlicher Zustand, weil er eine Gnadengabe, ein Geschenk Gottes ist.

Der Hl. Gregor Palamas stellt die Frage: «Was ist dieser Glaube also? Ein natürlicher oder ein übernatürlicher Zustand? Natürlich ist er ein übernatürlicher. Deswegen kann niemand zum Vater gelangen als nur durch den Sohn (Jo 10, 9), der uns über uns selbst erhöhte, indem er uns die Möglichkeit gab, uns mit dem Vater zu vereinigen, der alle bei sich versammeln will».

Wenn der Gläubige in das Stadium der Erleuchtung des Geistes eingetreten ist, ist es möglich, daß er, wenn es Gott gefällt, göttliche Offenbarungen empfängt. Nach den Worten der Hl. Väter darf der Gläubige aber nie Gott darum bitten. Das einzige, worum er stets bitten muß, ist seine Erleuchtung vom Hl. Geist. Das war auch das Gebet des Hl. Gregor Palamas auf dem Hl. Berg Athos: «Herr, erleuchte meine Finsternis». Die Gottesschau ist ein Geschenk Gottes, das die Erleuchtung des Geistes vom Hl. Geist voraussetzt. Deshalb sagte der Herr: «Habe ich dir nicht gesagt, daß du die Herrlichkeit Gottes sehen wirst, wenn du glaubst;» (Jo 11, 40).

Von dem Augenblick an, in dem der innerste Glaube im Gläubigen geboren wird, bis zur Gottesschau (wenn der Gläubige gewürdigt wird, zur Gottesschau zu gelangen) hat er das «Herzensgebet». Es ist das Gebet des Hl. Geistes im Herzen des Menschen. Es ist das ununterbrochene Gebet, das der Ap. Paulus Mysterium nennt: «Er spricht im Geiste Geheimnisvolles» (1 Kor 14, 2). Dieses Gebet des Hl. Geistes im Herzen verspürt der Gläubige und nimmt so die Gegenwart Christi in seinem Herzen wahr. Dieser Zustand wird von den Hl. Vätern, z.B. von Basilius dem Großen, «immerwährendes Gedächtnis» Gottes genannt. In ihm ist der Gläubige wahrhaftig «Tempel des Hl. Geistes». Auf diesen Zustand bezieht sich der Herr, wenn er sagt, daß «das Reich Gottes in uns ist» (Lk 17,21). Denn derjenige, der den Hl. Geist in sich hat, hat den vollkommenen Glauben, der dessen Frucht ist.

Die geistliche Atmosphäre des «vollkommenen Glaubens» ist leider für uns, die vielen, «terra incognita». Sie ist aber die natürliche Atmosphäre der Hl. Väter und des orthodoxen Mönchtums bis heute. Die grossen Kämpfe der Hesychasten des 14. Jh. und der Kolybaden des 18. Jh. hatten zum Ziel, diese Tradition zu bewahren. Sie ist die Tradition der Propheten und Apostel. Im Lichte des väterlichen Asketismus erhalten wir den Schlüssel zum Verständis und zur Exegese des Neuen Testaments. Diesen hat uns leider die sogenannte wissenschaftliche Theologie und Hermeneutik nicht anzubieten. Während unserer theologischen Studien lernen wir, viele Stellen der Hl. Schrift metaphorisch und symbolisch zu verstehen. So lernen wir z.B., die Worte des Herrn an seine Jünger: «Ihr seid das Licht der Welt» (Mt 5,14) ethisch zu verstehen, im Sinne des «guten Menschen» oder besser des «frommen». Unsere Hl. Väter aber lehrten uns, diese Worte in dem Sinn zu deuten, daß jemand zur Teilnahme am ungeschaffenen göttlichen Licht gelangt und wahrhaftig «Licht» und der Gnade nach ungeschaffen wird (wie Gregor Palamas über Paulus sagt).

Die Väter erklären die Schrift mittels ihrer Erfahrungen, «getragen» von dem gleichen Hl. Geist, von dem die Hl. Verfasser der Bibel «getragen wurden». Ohne die Erleuchtung des Hl. Geistes ist eine kirchliche Exegese der Schrift unmöglich. Möglich ist nur die «Wissenschaft». Daher folgen wir Orthodoxe selbst dann, wenn wir Wissenschaft treiben, unseren Hl. Vätern, wobei uns jedoch dafür von anderen Christen «Traditionalismus» vorgeworfen wird. Aber die Tradition der Väter ist für uns die Fortsetzung des Lebens in Christo, das uns die Bibel überliefert.

So können wir mit Hilfe der Väter den Ap. Paulus verstehen, wenn er den Korinthern schreibt, daß sie jedesmal untersuchen sollen, ob sie sich noch im «vollkommenen Glauben» befinden. Wenn sie nämlich nicht mit dem «Herzensgebet» die Gegenwart Christi in sich verspüren, dann haben sie nicht den «vollkommenen Glauben», dann sind sie «unbewährt», d.h. der Mißbilligung würdig. «Prüft euch selbst, ob ihr im Glauben seid, stellt euch selbst auf die Probe. Oder erkennt ihr euch selbst nicht (und vermöget nicht festzustellen), daß Christus in euch ist? Wenn nicht, dann seid ihr unbewährt (2 Kor 13, 5). Das Vorhandensein des «vollkommenen» Glaubens verbindet der Ap. Paulus mit der Einwohnung Christi im Herzen des Gläubigen im Hl. Geist. Erinnern wir uns doch an die Worte des Herrn: «Wer meine Gebote hat und sie hält, der ist es, der mich liebt. Wer aber mich liebt, wird von meinem Vater geliebt werden, und ich werde ihn lieben und mich ihm offenbaren. Judas, nicht der Iskariote, sagte zu ihm: «Herr, was ist geschehen, daß du dich uns offenbaren willst und nicht der Welt? Jesus antwortete und sagte zu ihm: «Wenn einer mich liebt, wird er mein Wort bewahren, und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen» (Jo 14, 2123). Diese «göttliche Liebe» flammt in den Herzen aller Heiligen.

Der Evangelist Johannes betrachtet den vollkommenen Glauben als Sieg, der die ganze Welt besiegte. «Das ist der Sieg, der die Welt besiegt: unser Glaube» (1 Jo 5, 4). Und nach den Worten des Hl. Gregor Palamas besteht der Sieg eben darin, daß «dieser Glaube die Welt zum göttlicheren hin veränderte, daß er sie in die Höhen des Himmels emporhob und die Erde verhimmlischte». Es ist ein Sieg, weil der Mensch himmlisch wird und aus der Macht der Dämonen entflieht, die die «Weltbeherrscher dieser Finsternis» (Eph 6, 12) sind.

Der vollkommene Glaube ist der Glaube, der rettet, weil er den Menschen zur Sohnschaft führt, zur Rechtfertigung. Dieser Glaube ist die Frucht des Baumes. Die Gesetzeswerke können nicht retten, weil sie die Blätter des Baumes sind und nicht die Frucht. Aber auch die Blätter sind brauchbar; denn ohne sie bringt der Baum keine Frucht hervor. Sie werden also nicht abgeschafft, sondern lediglich auf den Raum des «hohen» Glaubens beschränkt. Sie sind notwendig, damit der Mensch sein Herz von den Leidenschaften reinigen und zur Erleuchtung des Hl. Geistes gelangen kann, sodaß Christus in seinem Herzen Wohnung nimmt. Darum sagt Paulus: «Wir sind überzeugt, daß der Mensch durch den Glauben ohne Gesetzeswerke gerechtfertigt wird» (Rom 3, 28; Gal 2,16) und an einer anderen Stelle: «Da wir nun auf Grund des Glaubens gerechtfertigt sind, haben wir Frieden mit Gott durch unseren Herrn Jesus Christus, durch den wir ja im Glauben Zutritt zu dieser Gnade, in der wir stehen, erlangt haben, und wir wollen uns der Hoffnung auf die Gottesherrlichkeit rühmen» (Rom 5,1 2). Glaube ist hier der vollkommene Glaube, und deswegen wird er über das Gesetz gestellt. Christus löst das Gesetz nicht auf, sondern er «erfüllt» es (Mt 5,17).

Luther kannte wohl nicht die Unterscheidung des Glaubens in «ersten» und «vollkommenen», da der Westen zu seiner Zeit bereits seit langem wegen der Scholastik die patristische Tradition verloren hatte. So entstand die Verwirrung und die Problematik hinsichtlich der Beziehung zwischen «Glauben» und «Werken», die bis heute eines der großen Themen unserer «Symboliker» an den Universitäten bildet. Dazu muß ich bemerken, daß diese lutherische Problematik auch uns Orthodoxe  diejenigen natürlich, die nicht patristisch denken  oft in starkem Maß beeinflußt. Das Problem aber ist aus patristischer Sicht gesehen sehr einfach.

Der Jakobusbrief spricht vom ersten Glauben, der ohne Werke der Buße tot ist. Dagegen spricht Paulus vom vollkommenen Glauben, der allein rettet, da er die Frucht des Hl. Geistes ist und mit der Sohnschaft des Menschen und der Einwohnung Christi in ihm verbunden ist.

Es ist bezeichnend, daß Asketen von Theben in Ägypten, wenn sie Menschen (weltlichen) begegneten, diese fragten, ob der Glaube noch in der Welt bestehe. Eine derartige Frage wäre unerklärlich, wenn die Asketen damit den «ersten» Glauben meinten, den die Christen gewöhnlich besitzen. Die Mönche meinten sicherlich den «vollkommenen» Glauben. Ihre Frage ist die gleiche, wie jene des Herrn: «Doch wird der Menschensohn, wenn er kommt, Glauben finden auf Erden?» (Lk 18, 8). Nur ein einziger Blick auf die Situation des Christentums von heute zeigt, wie berechtigt diese Frage ist. Wenn die heutige Theologie zur Ideologie wird, wie dies bei den konservativen Orthodoxen geschieht, oder zur Theologie «vom Tode Gottes», wie im Westen, so ist dies darauf zurückzuführen, daß die Kenntnis und Suche nach dem vollkommenen Glauben in unserem Leben verlorengegangen ist. Unser Christentum entwickelt sich ideologischphilosophisch, parallel zu den vielen anderen Ideologien der Welt und dient innerweltlichen Zwecken mit vergänglichem Charakter. Die Suche nach der Rettung ist fast völlig abgeklungen, und nur das (östliche) Mönchtum besteht noch, um uns an den Kampf zur Vergottung und an den «vollkommenen» Glauben des Hl. Geistes zu erinnern. Daher ist und bleibt es der authentische Träger der orthodoxen Geistlichkeit.

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Kapitel 1 // Kapitel 3

Artikel erstellt am: 10-7-2009.

Letzte Überarbeitung am: 10-7-2009.

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