Orientierung durch Orthodoxe Dogmatische Erläuterung Liturgische

 

 

Weihnachten, das Fest der Menschwerdung Gottes

Vater Johannes Nothhaas

 

 

Auch wenn die Orthodoxe Kirche das Geburtsfest Christi nicht romantisch verkleidet, so benutzt sie doch neben historischen Erinnerungen auch poetische Motive, um das Geschehen in seinem tieferen Sinn deutlich zu machen. Wer solchen Bildern begegnet, darf sie nicht befragen: „Wann und wo ist das geschehen?" Er muss viel mehr die Frage stellen: „Worauf will dieses Bild hinweisen?" In der bildhaften Darstellung sowohl der Ikonen als auch der liturgischen Dichtung geht es nicht nur um historische Fakten, sondern um die tiefere theologische Wahrheit. Die rein historische Auslegung von Schrift und Tradition der Kirche der neueren westlichen Theologie muss an der Unfassbarkeit des Heilsgeschehens scheitern. Für die Orthodoxe Kirche ist die allegorische oder pneumatische (geistliche Auslegung) von Schrift und Tradition nach wie vor unverzichtbar. Hat nicht auch Christus in seiner Verkündigung des Evangeliums ständig Bilder und Gleichnisse benutzt? Die Ikonen und die Tradition der liturgischen Poesie in Troparien und Kondakien sind daher die angemes­senen Mittel der christlichen Verkündigung.

So fasst die Ikone der Christgeburt die wesentlichen Inhalte dieses Geschehens zusammen. -

Am oberen Bildrand der Ikone erscheint der Engel mit der Heilsbotschaft der Geburt des Kindes im göttlichen Licht vor den Hirten, sowie die ganze Heerschar lobpreisender Engel am Himmel. Beide Erscheinungen (im göttlichen Licht, sowie die große Zahl) sind einmalig in der ganzen Heiligen Schrift Alten und Neuen Testaments. Die himmlische Welt in der höchsten, unfassbaren Dimension ist in Bewegung geraten und begegnet den einfachen und ärmsten unter den Menschen. Auch sie finden sich mit den Engeln ein zur Anbetung des Gottessohnes in der Futterkrippe.

Der Evangelist Lukas stellt die Geburt des Heilandes in den großen Rahmen der Weltgeschichte, der Schätzung des Erdkreises unter Kaiser Augustus. Auf der Festikone erscheint die Geburt des göttlichen Kindes im noch größeren kosmischen Rahmen der Bewegung der Gestirne. Der Stern von Bethlehem, die Stemenkonjunktion am damaligen Himmel hat tatsächlich stattgefunden. Der genaue Zeitpunkt spielt da keine wesentliche Rolle. Entscheidend ist, dass der Kosmos die Zeitenwende ankündigt.

Die geographische Weite dieser Geburt ist in den Magiern, die fern vom Osten her den Weg zur Anbetung des neuen Königskindes suchen, angedeutet. Sie haben als Beobachter der Gestirne das Zeichen des Himmels erkannt.

Am unteren Bildrand sitzt Joseph, getrennt von der Gottesmutter, in Zweifeln über die Herkunft des Kindes versunken. Es ist kein Zufall, dass beide kaum je gemeinsam in Freude über das Kind zusammen dargestellt werden, wie dies in westlichen Krippenszenen geschieht - Die Gestalt im Fellgewand, die vor ihm steht, wird meist gedeutet als der Prophet Jesaja, der Joseph helfen will, die von ihm ausgesprochene Prophezeihung: „Siehe, die Jungfrau wird schwanger und gebiert einen Sohn, und man wird ihm den Namen Immanuel geben" (Jes 7,14) zu verstehen.

In der Bildmitte befindet sich die Höhle, in die der Lichtstrahl des Sternes einfährt. Die Höhle weist auf die Beziehung zwischen Geburt und Tod Jesu Christi hin. Denn die Geburt ist gleichsam die erste Station auf dem Weg zum Tod, der mit der Bestattung in der Grabeshöhle besiegelt wird. - In der Erdhöhle, die als Stall, als Unterkunft für das Vieh, in Bethlehem aus alter Zeit belegt ist, befinden sich Ochs und Esel. Christus liegt zwischen beiden Tieren, was an Jes 1,3 erinnert, wo es beißt: „Der Ochse kennt seinen Meister und der Esel die Krippe seines Herrn; Israel hat keine Einsicht, mein Volk keinen Verstand". Die altkirchlichen Väter haben bisweilen den Ochsen als Symbol für die Heidenvölker und den Esel als Symbol für das störrische Volk Israel interpretiert.

Außerhalb der Höhle liegt auf einem Purpurkissen die Göttesgebärerin abgewandt vom Kind. Da ist nichts von einer Mutter-Kind-Idylle wie auf den mittelalterlichen Geburtsdarstellungen zu sehen. Sie schaut das Kind nicht an, sondern blickt in die Ferne, als ob sie den Weg des Kindes in den Tod in einer geistlichen Schau voraussieht.

Das Ende dieses Weges des Gottessohnes findet sich hinter ihr dargestellt. Dort liegt das Kind nicht in einer Krippe auf Stroh gebettet und in Windeln gewickelt, sondern anstelle der Krippe dient ein steinerner Sarkophag als Lagerstatt. Anstelle der Windeln ist der Neugeborene wie ein toter Mann in Leichentücher gehüllt aufgebahrt. Umrahmt wird diese Krippenszene von der Erdhöhle wie von einer Grabeshöhle. Nun wird deutlich, warum hier keine Mutterfreude aufkommen kann. Anstelle von Idyllik und Weihnachtszauber ist hier die harte Realität des göttlichen Auftrags dieses Kindes in seiner Tiefe angedeutet. Der neue König, den die Magier aus den fernen Ländern anbeten wollen, dessen Mutter wie eine Kaiserin auf einem Purpurdiwan ruht, geht ein in die tiefste Niedrigkeit nicht nur einer Behausung für die Tiere, sondern weit tiefer in die tiefste Gottesferne, in den Tod. Dort will er die gefangene Menschheit aller Zeiten erretten. Dies wird in hymnischer Form im Festkondakion besungen:

Die Jungfrau gebiert heute den,  

der vor allem Sein war. 

Und die Erde bietet eine Höhle dem Unnahbaren. 

Die Engel lobsingen mit den Hirten. 

Die Weisen wandern dem Sterne nach.

Denn für uns ist geboren der kleine Knabe, vor den Aeonen Gott.

   

Artikel erstellt am: 20-6-2009.

Letzte Überarbeitung am: 20-6-2009.

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