Orientierung durch Orthodoxe Dogmatische Erläuterung | Psychotherapie |
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Das Gleichnis vom verlorenen Sohn Vater Johannes Nothhaas |
Dieses Gleichnis verwendet der Herr in der Begegnung mit den Schriftgelehrten und Pharisäern, die sich über seine Mahlgemeinschaft mit Sündern und Zöllnern erregten und daran Anstoß nahmen, dass er mit seinem Verhalten gegen die Reinheitsvorschriften verstieß. Schon die respektlose Anrede offenbart dies. „Dieser nimmt die Sünder an und isst mit ihnen!" (Lk 15,2). Mit drei Gleichnissen versucht der Herr ihre bittere Miene bei der Einhaltung der Reinheitsvorschriften aufzuhellen und ihre Herzen für das Heil dieser von ihnen verachteten Menschen zu öffnen. „So, sage ich euch, wird Freude sein vor den Engeln Gottes über einen Sünder, der Buße tut." (V 10). Das umfangreichste Gleichnis in diesem Dreiklang ist das vom verlorenen Sohn. Das Gleichnis ist wie eine Geschichte aus dem Leben. Bei der Gestalt des Vaters schimmert jedoch in einigen Wendungen (V 20: „erbarmte sich"; und V 29 „nie dein Gebot übertreten" - Ausdrücke, die sich auf Gott beziehen) und in seiner Güte die Liebe des göttlichen Vaters durch, wie ihn Jesus verkündet. Auffallend ist auch, wie nachsichtig dieser Vater den jüngeren Sohn mit seiner Einforderung des Erbteils behandelt. Da ist nichts von Tadel, Enttäuschung oder gar patriarchalem Zwang zu erkennen. Er lässt die Verbindung zu seinem Sohn, der sich von der Familie weit absetzen will, nicht abreißen. Selbst als der Sohn schon in die Fremde gezogen ist, hält der Vater immer noch und immer wieder Ausschau nach ihm und wartet auf seine Rückkehr. Daher ist es nicht verwunderlich, dass der Vater den Rückkehrenden schon von weitem erblickt. Er wartet dessen Ankunft nicht ab, sondern läuft ihm entgegen und umarmt den Heimkehrer und bereitet ihm einen festlichen Empfang mit allen Kennzeichen hoher Ehrung (Festgewand, Siegelring, Schuhe, Feier und Festmahl). Alles Vergangene, was den Sohn von der Familie getrennt hat, bis hin zum Verprassen des Erbteils zum Schaden der Familie und sein unwürdiger Zustand sind vergessen und vergeben. Tiefe Freude erfüllt den Vater, an der er die ganze Familie mit dem Fest teilhaben lässt. Auch der widerborstige ältere Sohn kann mit seinem Neid über das Fest und die Wiederaufnahme des jüngeren Bruders in die Familie die Freude des Vaters nicht trüben. Wieder geht der Vater auch diesem Sohn aus dem Hause entgegen, als dieser seine Teilnahme am Fest verweigert. Dieser ist so voller Groll über das Geschehen, dass er ganz aus der Rolle des treuen Sohnes und Helfers des Vaters heraus fällt. Er redet den Vater nicht einmal an und überhäuft ihn sofort mit einem Schwall von Vorwürfen. Seine Verachtung für den jüngeren Bruder wird dadurch deutlich, wie er diesen bezeichnet. Gegenüber dem Vater erwähnt er ihn mit den Worten: „Da aber dieser dein Sohn gekommen ist…“ Von ganz andrer Art ist die Antwort des Vaters. Er redet den Grollenden an mit „mein Sohn" und versucht, ihn aus seiner Verbitterung herauszuholen mit dem Hinweis auf die Freude, die Freude über die „Wiedergeburt" seines Sohnes. Jetzt nennt der Vater ihn bewusst in Korrektur der Redeweise des Zornigen: „dieser dein Bruder". Wenn wir diese Reaktionen des Vaters gegenüber seinen Söhnen in seiner überwältigenden Güte bedenken, ist eigentlich zu fragen, warum das Gleichnis nicht anders heißt. Ist nicht der Vater die Hauptfigur? Denn vom äußeren Aufbau besteht es aus zwei Teilen: Der Heimkehr des jüngeren Sohnes und dem Protest des älteren Sohnes. Beide Teile schließen formal auch mit dem gleichen Logion: „Dieser mein Sohn/dein Bruder war tot und ist wieder lebendig geworden, er war verloren und ist wiedergefunden" (Verse 24 und 32). Die Verse am Ende einer Erzählung oder eines Absatzes sind bei Gleichnissen und Lehrstücken stets von besonderer Bedeutung. So auch hier. Man muss sie in ihrer Aussage am Ende dem gegenüberstellen, was am Anfang gesagt wurde. Worum geht es am Anfang dieser zwei Abschnitte des Gleichnisses? In beiden Teilen sind die zwei Söhne um das ihnen zustehende Erbteil besorgt. Der jüngere Sohn verlangt die Auszahlung seines Erbteils, und der ältere befürchtet die Schmälerung seines Erbteils, wenn der bereits beerbte Bruder wieder aufgenommen wird. Beide haben vorwiegend ihre eigenen materiellen Interessen im Blick ohne Rücksicht auf die anderen Mitglieder der Familie. Dieses Hängen an und Trachten nach dem zustehenden Erbteil macht die Herzen stumpf und die Augen blind für Leben und Tod des Vaters und des Bruders. Der jüngere Sohn behandelt den Vater so, als sei er schon gestorben. Der ältere Sohn verhält sich seinem Bruder gegenüber nicht besser. Er würde ihn, ohne dessen Reue zu bedenken, seiner trostlosen Situation überlassen und damit den Verlust dieses Menschen riskieren. Es ist der Vater, der für beide Söhne die Rettung des Menschen aus seiner Not im Auge behält und den Söhnen zu vermitteln sucht. Wo finden wir uns in diesem Doppelgleichnis? Es ist nahe liegend, dass wir uns den gleichen Anfechtungen ausgesetzt sehen wie die beiden Söhne. Die irdische Sorge der beiden Söhne, dass wir das erhalten, was uns zusteht, und das Bestreben, dass wir das absichern, was wir bereits haben, müssen wir uns alle eingestehen. Insbesondere müssen wir feststellen, dass wir unter diesen beiden Versuchungen immer wieder dazu neigen, das Materielle Gott und den Menschen voranzustellen. Es ist die uralte Versuchung, wie sie uns von Adam und Eva im Paradies berichtet wird: Wenn der Apfel, oder das Tier oder der nächste Mensch wichtiger wird als das, was Gott gesagt hat. Das Gleichnis vom verlorenen Sohn hat aber noch eine tiefere Dimension. Es ist zu fragen, warum und zu wem der Herr dieses Gleichnis seinen Hörern erzählt hat. Am Anfang wurde schon darauf hingewiesen, dass Ihm von den Pharisäern die Mahlgemeinschaft mit Sündern und Zöllnern zum Vorwurf gemacht wird. Wenn der Herr in der Auseinandersetzung mit ihnen nun dieses Gleichnis erzählt hat, dann doch mit der Absicht, dass sie sich in dem Gleichnis wieder erkennen sollen, insbesondere in dem Verhalten des älteren Sohnes. Dieser lehnt ja auch die Teilnahme an dem Festmahl ab, weil er sich über den heruntergekommenen Bruder erhebt und ihn verachtet. Jesus stellt sich in dem Gleichnis auf die Seite des Vaters. Den Pharisäern will er sagen: Seht, so groß ist die Liebe Gottes zu den verlorenen Menschen, und ihr seid freudlos, und unbarmherzig. Er identifiziert sich mit dem Heilswillen des göttlichen Vaters. Genau das aber ist es, was die Pharisäer nicht erkennen und bekennen wollen. Mahlgemeinschaft - so will Jesus den Pharisäern sagen - setzt nicht nur die Zuneigung zu den Menschen voraus, sondern auch eine gemeinsame Orientierung auf Gott und seinen Heilswillen hin. Im Gleichnis erfolgt die Aufnahme des heimkehrenden Sohnes nicht nur, weil der Vater ihn liebt, sondern auch, weil dieser sein Leben neu auf Gott hin ausgerichtet hat. Wenn die beiden Maßstäbe, Liebe und Wahrheit, schon das Fundament für das einfache Zusammenleben der Menschen bilden, dann gilt dies umso mehr für die Kirche Jesu Christi. Sie ist in der heutigen Gesellschaft ein Stein des Anstoßes, weil sie die Wahrheit des Evangeliums abgrenzt gegen jede Relativierung. Auch unter Christen bleibt die Frage nach verbindlichen Glaubensaussagen weithin unbeantwortet. Selbst Martin Luther hat noch an festen Bekenntnisaussagen festgehalten, wenn er sagt: „Hebe die festen Behauptungen auf, und du hast das Christentum aufgehoben („Tolle assertiones et tulisti Christianismum"). Gegen diese christliche Haltung wird heute weithin der Vorwurf der Intoleranz erhoben. Dieser ist jedoch ein Widerspruch in sich selbst. Kann die Wahrheit gegenüber der Unwahrheit tolerant sein? Das Gegengewicht gegen die Intoleranz der Wahrheit bildet unabdingbar die Liebe. Beide sind untrennbar: Wenn wir nämlich alles nur nach der Wahrheit beurteilen ohne die Liebe, enden wir in der Inquisition. Wenn wir dagegen alles nur nach dem Maßstab der Liebe messen ohne die Wahrheit, enden wir in einer grenzelosen Sentimentalität. Darum müssen beide, die Liebe und die Wahrheit, im Gleichgewicht sein. Nur so erfüllen wir den Auftrag Jesu Christi.
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