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Leben im Leibe Christi ( Einführung in die Orthodoxie )
3. Das Leben in der (Pfarr)Gemeinde in der Geschichte und in der Gegenwart
A. Die Gemeinde als Lokalkirche
In der kirchlichen Praxis ist die Gemeinde die kleinste Einheit des kirchlichen Lebens. Als eucharistische Versammlung der Gläubigen erscheint die (jede) Gemeinde natürlich in Verbindung mit der Diözese, der sie angehört als «die katholische Kirche» eines bestimmten Ortes und einer bestimmten Zeit. Der Gläubige lebt das Mysterium der Kirche im Leben und in der Praxis seiner Gemeinde. In ihr kämpft er, wird geheiligt und mit Christus und seinen Brüdern in Christo verbunden. In ihr verwirklicht er ständig sein Sein in Christo, seine Kirchlichkeit. Über die Gemeinde und ihr Leben zu reden, bedeutet also im Grunde genommen, über die Kirche und ihre Gegenwart in der Welt zu reden.
Die Kirche ist der «Leib Christi» (s. 1 Kor Kap. 12), die Vereinigung und Einheit der Gläubigen durch den Heiligen Geist in der vergöttlichtenverherrlichten Menschheit Christi. Christus und die Kirche sind eine unauflösliche, aber unvermischte Einheit. Nach dem hl. Chrysostomus sind sie «ein Geschlecht, das Gottes und der Menschen» (P.G. 52, 789). Nach ihrer Himmelfahrt in die ungeschaffenen Himmel der Dreisonnlichen Gottheit, kehrt die verherrlichte (mit dem göttlichen Wesen unteilbar, aber unvermischt vereinigte) Menschheit (= Menschliche Natur) Christi am Pfingsttag in die Welt zurück, damit die Anwesenheit Christi unter Seinen Gläubigen (Mt 28, 20) durch eine andere Art von Anwesenheit im Heiligen Geiste fortgesetzt wird. Christus kehrt im Heiligen Geiste zurück, damit Er der Ort der Begegnung und Vereinigung der durch Ihn und in Ihm Geretteten wird. Diese für unser kirchliches (Gemeinde) Leben fundamentale Wahrheit wollen wir jedoch etwas näher betrachten.
Während des «Abendmahles» gab Christus Seinen Jüngern einige (oberflächlich gesehen) seltsame Versprechen: «... Ich komme wieder und werde euch zu mir nehmen, damit, wo ich bin, auch ihr seid». «Ich werde euch nicht als Waisen zurücklassen. Ich komme zu euch» (Jo 14, 3,18). «An jenem Tage» werden die Jünger erkennen, daß Christus «im Vater» ist, und sie in Christus und Christus «in ihnen». Sie werden also die Erfahrung machen, daß Christus in ihnen anwesend ist. Sie werden Christus auch nach Seiner Himmelfahrt schauen, denn Christus lebt und sie werden mit Ihm leben (14, 20). Christus wird sich jedem offenbaren, der Ihn liebt (14, 21), er wird sogar kommen, um zusammen mit dem Vater Wohnung in ihm zu nehmen (14,23). All das wird im Heiligen Geist geschehen. Der Heilige Geist der Paraklet wird die Jünger «alles» lehren und sie an alles erinnern, was ihnen Christus sagte (14, 26). Aber auch in Seinem hohepriesterlichen Gebet bittet der Herr unter anderem den Vater: «Vater, ich will, daß, wo ich bin, auch die bei mir seien, die du mir gegeben hast, damit sie meine Herrlichkeit schauen...» (Jo 17, 24).
Diese Worte Christi wurden am Pfingsttag erfüllt. Da kehrte Christus im Geist, und mit Ihm auch der Vater, zurück, damit sie in den Gläubigen Wohnung nehmen, so daß diese die ungeschaffene Herrlichkeit und das Reich (das ungeschaffene Licht) der Heiligen Dreifaltigkeit schauen. Am Pfingsttag wird die Kirche nicht gegründet, sondern durch den Heiligen Geist «konstituiert» und als «Leib Christi» geoffenbart; denn die menschliche Natur Christi ist anwesend, und der ganze Christus («totus Christus») ist mit jedem Glied Seines Leibes vereinigt, «unteilbar geteilt in Geteilten». Er befindet sich seitdem unteilbar (aber unvermischt) in jedem Glied (sofern die erforderlichen Voraussetzungen vorhanden sind). Und dies wird seine Fortsetzung finden bis zum Ende der Welt.
Aus dem bisher Gesagten geht hervor, daß Christus sowohl unser «Ekklesiast» denn er versammelt uns in Seinem allheiligen Leib als auch unsere Kirche (Åêêëçóßá) ist da er zum geistlichen Ort unserer Zusammenkunft wird . D.h.: Ohne den wahren Christus kann es keine Kirche geben, selbst dann nicht, wenn sie sich auf eine sogenannte «christliche» Ideologie stützen sollte. Denn sie ist untrennbar mit der Person des Gott Logos, des Fleisch gewordenen Wortes Gottes, des Retters Christus, verbunden. Die Kirche ist Christus selbst, der ganze Christus (Haupt und Leib), nicht «Leib von Christen», sondern «Leib Christi».
Diese Christozentrische Wirklichkeit der kirchlichen Gemeinschaft findet ihre Darstellung und ihren Ausdruck, wie auch ihre Verwirklichung, in der liturgischen Handlung der Vermischung der kostbaren Gaben im heiligen Kelch nach der Kommunion. Der Priester «vermischt» im heiligen Kelch alles, was sich außer dem Lamm auf dem Diskos befand, d.h. den Teil der Gottesmutter, die Heerscharen der Engel und Heiligen, die lebenden und entschlafenen Glieder des Leibes Christi, derer gedacht wurde. Denn sie alle haben zusammen mit dem Zelebranten die Göttliche Liturgie «vollzogen», der Bischof natürlich an erster Stelle, der, auch wenn er nicht leiblich zugegen ist, das geistige, sichtbare Zentrum der Göttlichen Eucharistie bildet (das unsichtbare ist Christus selbst, «der unsichtbar mit uns weilende») und die Einheit der Lokalkirche bewahrt. Im heiligen Kelch wird der «individuelle Leib» Christi nun eins mit Seinem «gemeinschaftlichen Leib». Die Gemeinschaft der Gläubigen in Christo ist bereits gänzlich im heiligen Kelch zusammengefügt, wobei sie sich jedoch nicht allein auf die vertikale Gemeinschaft eines jeden Gläubigen (individuell) mit Gott in Christo beschränkt, sondern auch die horizontale Vereinigung aller Glieder des Leibes unter sich mit einschließt. Die Einheit KircheChristus, Haupt und Leib, ist verwirklicht. In diesem Sinn wird auch die Definition der Kirche von Maximus dem Bekenner verständlich: «Ein Bild Gottes ist sie..., die heilige Kirche als die, die die gleiche Vereinigung unter den Gläubigen bewirkt, wie mit Gott» (P.G. 91, 668 B).
2. In der Geschichte erscheint die Kirche als konkrete örtliche Wirklichkeit, als Gemeinschaft in Ort und Zeit, sichtbar und beschreibbar bezüglich ihrer menschlichen Seite. Wo und wann auch immer die Göttliche Eucharistie vollzogen wird, verkonkretisiert sich spürbar die Gegenwart der Kirche als Gemeinschaft. Außerdem ist die Göttliche Eucharistie das unmittelbare Zentrum des kirchlichen Lebens; denn sie umschließt das ganze Leben der Kirche, die sich als «Liturgie nach des Liturgie», als Liturgie also, die im Leben der Gläubigen andauert, von der Göttlichen Eucharistie nach außen hin ausdehnt.
Bereits im Neuen Testament unterscheidet der Ap. Paulus die «Kirche» einer Stadt, z.B. Korinths, von den «Kirchen» einer weiteren Umgebung, z.B. Achaias. Er differenziert also zwischen der lokalen kirchlichen eucharistischen Versammlung und anderen lokalen Kirchen Versammlungen. Jede Lokalkirche ist trotz der geographischen Begrenzung, sofern sie die Wahrheit in ihrer Katholizität (= Ganzheit) verkörpert, die KIRCHE, wie auch Christus nur einer ist, der auf jedem heiligen Altar als Nahrung «der ganzen Welt» dargebracht wird. Wo Christus in der Fülle Seiner Wahrheit ist, ist nach dem Hl. Ignatius von Antiochien auch die katholische (die Eine und Einzige) Kirche (P.G. 5, 713). Die «Örtlichkeit ist also eine einfache (lokale) Offenbarung der Einen und Einzigen katholischen Kirche, und die Lokalkirchen ähneln demnach überirdischen Quellen, die jedoch immer von einem und demselben unterirdischen Fluß gespeist werden.
Die Göttliche Eucharistie sichert die Einheit des kirchlichen Lebens. Das ist die Botschaft des 1 Korintherbriefes (10,1517). Der eine Leib wird dort mit dem einen eucharistischen Brot identifiziert: «Weil es ein einziges Brot ist, sind wir Vielen ein einziger Leib; denn wir alle haben Anteil an dem einen Brot» (1 Kor 10,17).
Die Vielen werden sogar nicht «ein», sondern «einer» (Gal 3, 28), der eine Herr (erinnern wir uns doch wiederum an die Vermischung der kostbaren Gaben). Diese Christozentrische Einheit hält die lokale kirchliche Gemeinde ursprünglich in der auf den Bischof ausgerichteten Eucharistie zusammen. Damals (die ersten drei Jh.) wurde die Lokalkirche («êáô ïßêïí» Åêêëçóßá) mit der Gemeinde identifiziert. Die gleiche Einheit wird aber auch später mit der Gründung der Gemeinde (Evopia) (Ende 2. Jh.) sichergestellt, in der zwar der Priester im Zentrum steht, die sich aber gleichzeitig in unauflöslicher Verbindung mit dem Bischof befindet, so daß ihre Ausrichtung auf den Bischof und damit ihre Christozentrik nicht verloren geht.
Die Gemeinde ist kein Ersatz für die ursprünglich auf den Bischof ausgerichtete Kirche, da diese in der Diözese der späteren Jahre überlebt. Die Diözese (der Bischof) bleibt immer das Zentrum des kirchlichen Lebens; denn die Gemeinde ist keine neue (andere) Kirche, so daß wir viele (Teil) Kirchen in jeder Kirche Diözese haben. «Die aus praktischen Gründen erschienenen Gemeinden wurden nicht als selbstständige eucharistische Einheiten in der Diözese betrachtet, sondern hingen als ihre organischen Zweige von der einen auf den Bischof ausgerichteten Eucharistie ab» (J. Zezioulas). Die persönliche Anwesenheit des Bischofs in der eucharistischen Versammlung der Gemeinden wird immer als notwendig erachtet werden. Deswegen wird in jeder Eucharistie direkt nach der Epiklese des Bischofs gedacht, als wäre er in der Versammlung leiblich anwesend.
Die auf den Bischof ausgerichtete Eucharistie bricht also mit der Geburt der (heutigen) Gemeinde im 3. Jh. nicht auseinander; denn die «Teilung des Nebenthrons des Presbyteriums» wird nach J. Zezioulas verwirklicht, um den Bedürfnissen des zahlenmäßig gewachsenen kirchlichen Leibes in der Praxis zu begegnem. Die Gemeinde ist die Ausweitung der einen bischöflichen Eucharistie in den geographischen Grenzen der Diözese, ohne daß dadurch neue Zentren eucharistischer Einheit entstehen.
3. Die Gemeinschaft in Christo nimmt unwiderruflich und endgültich andere Formen an als alle anderen weltliche Gemeinschaften. Alle menschlichen Gesellschaften sind auf bestimmte ideologische u.a. Voraussetzungen aufgebaut, mittels derer sie besonders in unserer Zeit konstituiert werden. Die Gemeinschaft des Leibes Christi trat als «neue Schöpfung» (Gal 6,15) in die Welt ein. Die Kirche ist ein Geheimnis, «das von Ewigkeit her in Gott verborgen war» (Eph 3, 9). «Am Anfang erbaut, wird sie danach aus Gott geboren» (Athanasius der Gr., P.G. 36,1004/5). In Christo und durch Christus kommt sie in die Welt, als völlig neue Größe dringt sie in die Geschichte der Menschheit ein. Die Person Christi, das wahrhaft einzig «Neue», das die Welt jemals kennenlernte, differenziert Seine Gemeinschaft grundsätzlich von jeder menschlichen Gruppe, die für sich den Namen «Gemeinschaft» beansprucht. Christus ist der Grundstein der Einheit Seiner Gemeinschaft.
Während die Welt also den Kampf des Sisyphos kämpft, um ihre Gesellschaften zusammenzuschweißen, kämpfen wir Christen, damit wir, wie alle unsere Heiligen, in das «Reich, das uns seit Grundlegung der Welt bereitet ist», in die Gnade und Gemeinschaft des Leibes Christi, eingeordnet werden. Darum dreht sich unser ganzer Kampf: um unsere richtige und volle («ganze und gar», 1 Thess 5, 23) Einordnung in die Gemeinschaft in Christo.
Diese unsere Einordnung in die Gemeinschaft in Christo, in das Leben der KircheGemeinde also, kann aber nur auf eine einzige Art und Weise erfolgen. Das Leben Christi, das mit Seiner Fleischwerdung in die Welt gekommene «Christusleben», muss als neue Seinsweise auch zu unserem Leben werden. Und das wird verwirklicht, indem wir nach einem bestimmten Verwandlungsverfahren zu dem Punkt gelangen, daß nicht mehr wir leben, sondern daß «Christus in uns lebt» (Gal 2, 20), d.h. daß «Christus in uns Gestalt gewinnt» (Gal 4, 19). Dieses ganze Verfahren wird in der Sprache der Theologie, in der Sprache der Kirche, der Weg zur Vergottung genannt und ist das Heil selbst. In das Leben der Kirche tritt man ein, damit man gerettet, d.h. vergottet wird. Die Gemeinde stellte dies in der alten Kirche sicher und stellt es in allen Jahrhunderten sicher (muss es sicherstellen). Wenn dieses Ziel verloren geht, wird das Gemeindeleben verfälscht. Die Gemeinde, die in diesem Fall nur noch dem Namen nach Gemeinde ist, wird zur Häresie, sie rettet nicht, sondern führt zum ewigen Verderben. In der Orthodoxie ist diese vollständige Verfälschung der Gemeinde unmöglich. Denn, selbst wenn Kleriker das Gemeindeleben rein weltlich betrachten und «die Menschen in dieser Weise lehren», bleiben unsere Väter und Lehrer in Christo, die heiligen Väter, die uns mit den liturgischen Büchern, den Hymnen und Gebeten den Weg zur Rettung weisen. Sobald aber die Stimme der Propheten, Apostel und Väter verstummt, geht unweigerlich und unwiderruflich die richtige Orientierung und das wahre Ziel des kirchlichen Lebens verloren.
4. Bereits während der apostolischen Epoche hat die Entwicklung des Lebens der KircheGemeinde den Charakter einer absoluten TheokratieChristokratie angenommen. Es handelt sich niemals aber um eine Klerokratie oder eine feudalistische Anthropokratie, sondern immer nur um eine Christokratie. Die orthodoxromäische Theokratie ist das, was zwei liturgische Sätze, die wir so oft wiederholen, in einzigartiger Weise ausdrücken: a) «Einer ist heilig, einer der Herr, Jesus Christus» und b) «einer den anderen und uns selbst und unser ganzes Leben Christus Gott befehlen». Wenn wir den ersten Satz mit dem Raum in Verbindung bringen, in dem er erschien, dem römischen Staat, werden wir uns seines tieferen Sinnes klarer bewust. Der Herr der Kirche ist nicht irgendein weltlicher Kaiser, dem sich die Gläubigen unterwerfen, sondern der ewige Gebieter Christus, der Herr, und gleichzeitig der Erlöser unseres ganzen Lebens. Christus wird die Kirche niemals den Händen und Launen irgendeines weltlichen Herrschers überlassen.
Die Theokratie der Kirche ist demnach das unverbrüchliche Bewustsein der lebendigen Anwesenheit Christi des Herrn im Leben Seines Leibes und der ständigen Behütung und Leitung des Leibes der Kirche direkt von ihm im Heiligen Geist. Damit wird auch die Stellung des Klerus im kirchlichen Leib klar verständlich: Der Bischof ist trotz seiner fundamentalen und unverrückbaren Stellung in der eucharistischen Versammlung und im Leben der (Lokal) Kirche keinesfalls ein «Ersatz» für Christus oder der «Stellvertreter» Christi, als ob er den abwesenden Christus ersetzen würde, sondern in seiner Person wird der immerwährend «unsichtbare mit uns weilende» Christus offenbar. Einige charakteristische Bezugnahmen der Väter auf diesen Punkt bestätigen dies sehr klar. So ist der «Darbringende» in der Göttlichen Eucharistie, nach dem unübertroffenen Ekklesiologen, dem Hl. Chrysostomus, nicht nur der Zelebrant, sondern mit ihm zusammen auch die ganze Gemeinde, und die Heiligung «ist nicht die Tat der menschlichen Natur..., sondern die Gnade des Geistes, die anwesend ist und sich auf alle niederläßt, vollzieht jenes mystische Opfer». Der Zelebrant «leiht» einfach «seine Zunge und stellt seine Hand zur Verfügung» (P.G. 62, 204). An einer anderen Stelle, an der er sich auf die «menschliche Unterteilung» der Glieder der Kirche in «Schafe und Hirten» bezieht, bemerkt er: «... Schafe und Hirten sind sie in Bezug auf die menschliche Unterteilung, vor Christus jedoch sind sie alle Schafe. Denn sowohl die Hütenden als auch die Gehüteten werden von dem einen, dem Hirten von oben, gehütet» (P.G. 52, 784). Die Einheit des Leibes läßt keine weltlichen Unterscheidungen in Herrscher und Untertanen zu. «Dort (in der Kirche) gibt es weder den Dünkel der Herrscher noch die Unterwürfigkeit der Untertanen; die Herrschaft ist eine geistliche, die sich gerade dadurch auszeichnet, daß man nicht nach höheren Ehren..., sondern nach einem mehr an Mühen strebt» (P.G. 61, 427/8). Der Hl. Chrysostomus sieht den Unterschied zwischen Klerus und Laien in der Anstrengung und Mühe und nicht in erhabenen Stellungen.
Diese theokratische Organisation des kirchlichen Lebens gibt uns zu verstehen, warum es in der Kirche keine Würden und Machtpositionen im weltlichen Sinn geben kann, sondern einzig und allein Dienste. Jeder Dienst geht sogar auf Christus zurück und ist Dienst an Seinem Leib. Einer ist Christus, aber viele sind die Dienste Seines Leibes. Die Anordnung des kirchlichen Lebens ist keine Erfindung, keine ideologische Schöpfung; sie ergibt sich auch nicht aus den Forderungen irgendwelcher Satzungen, die rational zusammengestellt werden. Die Dienste werden aus dem Leben in Christo geboren. Sie sind die Gnadengaben des Heiligen Geistes, die sich in Dienste umwandeln. Denn die «Gaben» des Geistes (Jak 1,17; 1 Kor 1214) werden zu Diensten aktiviert, damit der Leib in Christo agiert. Diese Aktivierung einer jeden Gnadengabe ist das Ergebnis einer im Heiligen Geist erlebten Erfahrung, die im nachhinein beschrieben und kodifiziert wird. Sie wird aber nicht vom Menschen geschaffen. Sie bleibt immer eine Gabe Gottes.
Die Ämter in der Kirche tragen persönlichen Charakter. Sie r sind keine abstrakten Würden und Titel, zu denen leider die verschiedenen Officia (Erzpriester, Ökonom u.s.w.) herabgesunken sind. Die Personen, die die Ämter verkörpern, konstituieren das kirchliche Leben und die kirchliche Hierarchie. Erinnern wir uns doch an den 1 Korintherbrief 12, 28: «... Gott hat sie in der Kirche bestimmt erstens zu Aposteln, zweitens zu Propheten, drittens zu Lehrern; ferner sind da Wunderkräfte, weiter Heilungsgaben, Hilfeleistungen, Leitungsaufgaben, mancherlei Sprachgaben» (vgl. Eph 4, 11). Es ist heute anerkannt, daß die hier als «Propheten» bezeichneten später Bischöfe genannt werden.
Der Bischof war bis zum 4. Jh. Zelebrant und nicht Verwalter. Die «Hirten und Lehrer» des 4. Kap. des Epheserbriefes waren die heutigen Priester. Sie waren die Ratgeber des Bischofs in Verwaltungsfragen und dienten dem Pleroma als Lehrer und Kathecheten. Die eigentlichen Lehrer der alten Kirche waren die Priester (z.B. Klemens von Alexandrien, Origenes u.a.). Im 3. Jh. fanden sogar mittwochs und freitags unter der Leitung der Priester regelmässige Gebets und Lehrversammlungen, «ohne den Vollzug der Sakramente», zur Kathechese der Gläubigen statt.
Während in den Häresien, die das kirchliche Leben säkularisieren und dadurch verfälschen, den Institutionen und Würden die Hauptbedeutung zukommt, betont die Kirche mehr den Träger der göttlichen Gnadengabe, die menschliche Person. Ohne die Träger der geistlichen Gnadengaben kann es keine kirchlichen Ämter und Dienste geben. Als Beispiel mag uns in diesem Zusammenhang die für die Kirche fundamentale Institution der Synode dienen, die auch von den Orthodoxen nicht selten weltlich und juristisch verstanden wird. Eine Synode, vor allem eine ökumenische, ist ohne Väter, die Gott in sich tragen, d.h. die vom Heiligen Geist erleuchtet sind, undenkbar. Die tätige Anwesenheit Christi in einer Synode setzt voraus, daß Er im Geist im Herzen derer ist, die die Synode bilden. In diesem Punkt unterscheiden sich die echten von den unechten Synoden. Nur wenn Christus «in uns» ist, wirkt Er auch «unter uns». Das Studium und das Zitieren der Schrift in einer Versammlung von Menschen bedeutet noch lange nicht, daß Christus unter ihnen weilt. Denn Christus befindet sich nicht in den Herzen der Häretiker, sondern auf ihren Lippen (vgl. Mt 15, 8).
5. Mit den bisher entwickelten Gedanken als Grundlage können wir verstehen, daß die Vertreter des Klerus, obwohl sie dazu ausersehen sind, «die Schafe» Christi «zu hüten» (Jo 21,16), keine Gebieter und Machthaber, sondern Träger einer liturgischen Gnadengabe und daher aufgerufen sind, diese als pastoralen Dienst zum Wachstum ihrer Herde in Christo zu aktivieren. Wenn wir nun noch berücksichtigen, daß die «Schafe» vernunftbegabt sind und folglich ihre eigene Persönlichkeit und ihr eigenes Urteil besitzen, und daß sie nicht die Schafe des Klerus, sondern die Schafe Christi sind, wie auch dieser selbst, so wird uns klar, daß ganze Welten seinen Dienst von der weltlichen Machtauffassung trennen. Wenn wir weiterhin überlegen, daß auch die Laien als Glieder des kirchlichen Leibes Gnadengaben empfangen, die zu Diensten im Leib aktiviert werden, wird offenbar, daß die Verwertung der Gnadengaben der Laien seitens des Gemeindepriesters nicht nur kein Zugeständnis aus gutem Willen ist, sondern ganz einfach die Bejahung der authentischen Funktion des kirchlichen Leibes mit dem Einsatz aller seiner Glieder.
Trotzdem ist eine Nebentradition (eigentlich eine GegenTradition) schmarotzerhaft in unser Leben eingedrungen und daher der fehlerhafte Eindruck entstanden, daß wir es in der Kirche mit einer Herrscherklasse (Fürsten) und einer Klasse der Untertanen zu tuen haben.
In der patristischen Tradition begegnen wir jedenfalls nicht einem solchen «Klassenunterschied» zwischen Klerus und Laien, da alle Glieder ihren Dienst im Leib verrichten. Außerdem bezeichnet der Begriff «Laikos = Laie», eine Ableitung von «Laos = Volk», denjenigen, der zum «Volk Gottes» gehört, zum Leib der Kirche; und zu diesem Leib gehören alle Glieder, Kleriker wie Laien, zusammen und ohne Unterschied. Die einzige erlaubte Unterscheidung zwischen ihnen bezieht sich auf den zu vollziehenden Dienst und nicht auf einen «Klassenunterschied». Die harmonische Funktion des ganzen Leibes schafft den kirchlichen Organismus, wie dies im 1 Klemensbrief (+ 95 n. Chr.) bezeugt wird: «... Denn dem Bischof sind eigene Funktionen gegeben, und den Priestern ist der eigene Ort angewiesen, und den Leviten obliegen eigene Dienste. Der Laie ist an die Vorschriften für die Laien gebunden» (40, 5).
Im Leib gibt es Gnadengaben, Ämter und Dienste, jedoch für alle. Der Hl. Nikodemus der Hagiorit (+ 1809) schreibt über die Kirche der apostolischen Zeit: «Jene Christen, die an die Predigt glaubten und getauft wurden, empfingen alle den Heiligen Geist. Da der Heilige Geist aber seiner Natur nach unsichtbar ist, wurde denen, die ihn empfingen, ein spürbares und sichtbares Zeichen seiner Energie gegeben. Daher sprachen die Getauften in verschiedenen Sprachen oder weissagten oder wirkten Wunder». Die Gnadengaben waren ein Zeichen der Anwesenheit des Heiligen Geistes in den Gläubigen, die sich so als «Tempel Wohnstätten des Heiligen Geistes erwiesen. Die Verflachung des christlichen Lebens in den späteren Jahrhunderten beschränkte die Gnadengaben auf die Heiligen, die weiterhin die wahren Gläubigen, die «Tempel» des Heiligen Geistes und die wirklichen Glieder des Kirchenleibes sind.
Die Priesterweihe ist eine Gnadengabe, die in einem bestimmten Amt aktiviert wird. Sie ist zwar von grundlegender Bedeutung für das Bestehen der Kirche, schließt aber nicht andere Gnadengaben oder andere Träger von Gnadengaben, auch unter den Laien, aus. Außerdem besassen alle nach dem 1 Korintherbrief 12, 1831, die zum Leib Christizur Kirche gehörten, Gnadengaben, wie dies weiter oben auch der Hl. Nikodemus erwähnt. Nur die «Nichteingeweihten» und die «Ungläubigen» (14, 23), diejenigen also, die noch nicht Glieder (die Katechumenen) waren, besaßen keine Gnadengaben. Mit der Verflachung der christlichen Identität jedoch beschränkten sich die Gnadengaben im Laufe der Jahrhunderte, wie wir bereits sagten, auf die Heiligen, wodurch die einzige Gnadengabe Amt, die unvermindert bestehen blieb, die Weihe, überbetont wurde, obgleich viele ihrer Träger ihr innerlich nicht entsprechen. Wenn die Vertreter des Klerus sich also bewust werden, daß auch sie als Glieder des Leibes im Kirchenleib ihre Aufgabe und ihren Dienst vollziehen, wird sich jede feudalistischdespotische Auffassung der Weihe verlieren, und die Gemeinde wird in ihrer Person den Vater und Hirten wiederentdecken.
B. Der Aufbau der Gemeinde
Wie sieht aber im Einklang mit der orthodoxen Tradition der Aufbau des Gemeindelebens aus? Die Bildung der Gemeinde geschieht im Prinzip nur zu einem einzigen Zweck: der Vergottung ihrer Glieder. Dieses Ziel bleibt auf ewig unverrückbar und unveränderlich. Ändert sich diese Zielsetzung, so wird die Gemeinde automatisch verfälscht und gleitet auf das Niveau einer weltlichen Gruppe ab (Verein, Körperschaft und dergleichen), die des Kirchencharakters entbehrt.
1. Das Leben der Gemeinde entwickelt sich als Gemeinschaft in Christo, wie diese in den bekannten Stellen Apg 2, 4247 und 4, 3237 beschrieben wird. Ein Herr, ein Glaube, ein Leben, eine Gemeinschaft. Christus rettet uns nicht als Individuen oder autonome Personen, sondern nur gemeinsam als Glieder eines Leibes, einer Gemeinschaft, der Gemeinschaft Seines Leibes. Ohne die völlige und organische Einordnung in Seinen Leib gibt es keine Rettung. Daher steckten die ersten Christen einen Weg ab, den alle wirklichen Christen in allen Jahrhunderten zu beschreiten haben: ihr vollständiges Verlassen («Entsagung») der Welt und ihre «Anschließung» an Christus, wie wir dies bei der Taufe bekennen. Die Kirche besteht in der Welt als «drittes Geschlecht», das weder etwas mit dem «Judentum» noch etwas mit der «heidnischen Welt» gemeinsam hat. Sie ist eine eigenständige und unabhängige Größe (Genus tertium), und ausschließlich sie verleiht die Rettung.
Das aber bedeutet: «... unser ganzes Leben Christus Gott zu befehlen», sowohl unser geistiges als auch unser leiblichmaterielles. Der ganze Mensch und sein ganzes Leben wird von Christus angenommen. Der Gläubige wird mit allen seinen Problemen in die Gemeinschaft in Christo eingeordnet. Die Kirche zerteilt den Menschen nicht in Seele und Körper, womit sie das Geistliche vom Materiellen unterscheiden würde. Die «Gottesebenbildlichkeit» bezieht sich nach dem Hl. Gregor Palamas auf den ganzen Menschen: «Weder die Seele allein noch der Körper allein kann Mensch genannt werden, sondern nur beide zusammen, da sie Gott, wie man sagt, sogar nach Seinem Ebenbild geschaffen hat» (P.G. 150, 136 C).
Christus nimmt den ganzen Menschen an und rettet ihn als seelischleibliche Einheit und Ganzheit. Er zerreißt und zerstückelt ihn nicht. Nach den Worten des Hl. Gregor des Theologen «hat er mich ganz gänzlich aufgenommen und sich ganz in der Fülle vereinigt, damit er dem ganzen die Rettung schenke» (P.G. 37,181/ 4). Daher richtet sich auch unser Dienst an den ganzen Menschen. Er ist sowohl ein «geistlicher» als auch ein «leiblichmaterieller» Dienst. Für den ganzen Menschen ist es vonnöten, gerettet zu werden, von der Sünde dem Verderben, dem Tod entledigtbefreit und der Gnade nach vergottet zu werden. Und das geschieht mit der «Verchristlichung» unseres ganzen Lebens, des geistlichen wie des leiblichen, des persönlichen wie des gemeinschaftlichen. Eine Auffassung also, nach der der Mensch geistlich (auf die Seele bezogen) von Christus ernährt wird und leiblich und gesellschaftlich von der «GottIosigkeit» der atheistischen oder antichristlichen Systeme der Welt vergiftet wird, ist orthodox völlig untragbar. Das Drama unseres kirchllichen Lebens besteht darin, daß unser Dienst in der Gemeinde auf das «Geistliche» (Gottesdienst und Sakramente) beschränkt wurde und unser Interesse für das «Gemeinschaftliche» in der Form von «Almosen» auf die Humanität eingeengt wurde.
Wie ekklesiologisch die Einordnung des GANZEN Lebens in das Leben der KircheGemeinde zu verstehen ist, zeigt uns im Neuen Testament der Dienst der «Sieben» (Diakone Apg Kap. 6), der eine Art «politischen» (d.h. gesellschaftlichen) Dienstes war, wie auch die Institution der «Gütergemeinschaft» (Apg 2 und 4) und die der «Sammlungen» (= Sammlung einer finanziellen Hilfe für die ärmeren Gemeinden Gal 2,10; 1 Kor 16, 27. u.s.w.) die in der Art, wie sie auf die christlichen Gemeinden ausgedehnt wurden, der Kirche die Form eines Gemeinwesens (Commonwealth) in Christo gaben, einer ökumenischen selbstständigen Gemeinschaft des ganzen Lebens.
2. Die «gänzliche» Einordnung des Menschen in den Leib Christi vollzieht sich jedoch nicht mit einem einfachen Entschluß, sie ist nicht allein eine Sache seines Willens. Sie geschieht nur unter gewissen grundlegenden und unverletzbaren Voraussetzungen. Sie ist nicht mit dem Eintritt in irgendeinen VereinKörperschaft zu vergleichen, wozu die Erfüllung einiger Formalitäten und die Einhaltung gewisser Verträge ausreichen. Sie stützt sich also nicht auf äußerliche Prozesse und Handlungen. Die Teilnahme an der Gemeinschaft in Christo erfordert innerliche Vorgänge im Menschen, wie wir dies wiederum im Neuen Testament sehen. Zum rechten Verständnis dieser Zusammenhänge benötigen wir jedoch die richtige (oder besser ausgedrückt: heiliggeistliche) Annäherung, die allein durch die Heiligen Väter gewährleistet wird.
Aus dem N. Testament erfahren wir mittels der Hermeneutik der Väter, wie in den ersten Jahrhunderten die «Einweihung» die einleitende Katechese derjenigen geschah, die zur Kirche neu hinzukamen. Vom ersten Tag an wurde man «Christ» genannt (vgl. 7. Kanon der 2. Ökumenischen Synode), obgleich man als Katechumene nicht am sakramentalen Leben der Kirche teilnahm. Heute, da wir allgemein im Kleinkindesalter getauft werden, wird das Christsein und das Recht zur Teilnahme an der göttlichen Kommunion als selbstverständlich betrachtet, selbst wenn man sich nach der Taufe wie es bei vielen geschieht völlig vom Leben in Christo entfernt hat. In der alten Kirche wurde der Katechumene getauft, nachdem er mit der Hilfe des geistlichen VatersKatecheten das Stadium der Reinigung seines Herzens von den Leidenschaften (wie es heute in den Klöstern geschieht) durchlaufen hatte, damit er im Anschluß daran die Erleuchtung des Heiligen Geistes, die «Taufe des Geistes» (Apg 1, 5), in seinem Herzen empfangen konnte. Die Taufe von Kleinkindern gab es zwar, aber sie wurde nur in lebendigen christlichen Familien vollzogen, in denen die Voraussetzungen gegeben waren, daß die getauften Kleinkinder das Leben in Christo unter der Führung ihres geistlichen Vaters in der Familie fortsetzten.
Im gleichen Maße unverständlich erscheinen uns heute die «Exorzismen» die in der «Katechese», die dem Taufgottesdienst vorausgeht, gelesen werden. Mit der Verflachung, die eintrat, wurden «Katechese» und «Taufe» in einem Gottesdienst vereint, und die Exorzismen erscheinen den Umstehenden, besonders den Eltern und Paten, die gewöhnlich nur «dem Taufzeugnis nach Christen» sind, als magische Worte. Keiner versteht ihren wirklichen Sinn und ihre Existenzberechtigung. Die Exorzismen waren aber die Krönung des Kampfes des Katechumenen, mit der Hilfe seines geistlichen VatersKatecheten den Werken des Teufels auf der Basis der drei Evangelien (der sogennanten «Synoptischen»), die vor der Taufe gelehrt wurden, widerstehen und sie besiegen zu lernen. Das Johannesevangelium wurde als geistliches nach der Taufe dem Neuerleuchteten unterrichtet. Deswegen wird es auch heute noch in unserer liturgischen Praxis nach Ostern gelesen (in der Osternacht wurden die Katechumenen getauft).
Außer dem Bischof waren die Priester, aber auch Laien, wie wir dies heute noch bei (nicht zu Priestern geweihten) Mönchen beobachten können, ebenfalls bedeutende geistliche Väter und Lehrer. Denn alle diejenigen, die das Stadium der Reinigung durchlaufen hatten und zum Stadium der Erleuchtung des Heiligen Geistes gelangt waren, waren «geistliche Väter», d.h. «Geistesträger». Daher wird die Taufe auch «Erleuchtung» genannt. In der Katechese wurde nicht einfach religiöses Wissen vermittelt oder ein ethischer Kodex übergeben, den der Katechumene zu befolgen hatte. Die Katechese war die Einleitung, Einweihung und Einordnung in ein Leben, in das Leben in Christo, in ein neues Leben, das dem Leben der Welt fremd ist. Wie der Seemann es lernt, das Meer zu befahren, lernte der neue Gläubige in gleicher Weise, das «Meer des Lebens» zu befahren; er lernte, wie er sich ständig vom Leben der Sündedes Todes entfremdet und das Leben des Geistes in Christo lebt.
Wenn wir heute etwas Analoges dazu finden wollten, sollten wir unseren Blick auf ein orthodoxes Kloster und den Eintritt in es richten. Der Novize ist in Analogie der Katechumene der alten Kirche. Sein Kampf, in das klösterliche Leben eingeordnet zu werden, zeigt uns annäherungsweise, was der Eintritt in die Kirche in den ersten Jahrhunderten bedeutete. Das Kloster setzt seit dem 4. Jh. das Leben der Kirche der ersten Jahrhunderte fort und bleibt daher bis heute das authentische Vorbild des Christseins.
3. Im Leben der LokalkircheLokalgemeinde kommt dem Geistlichen Vater, dem Alten, (fepoviac,), wie er später genannt wird, der gewöhnlich auch der KlerikerGemeindepriester ist, eine herausragende Bedeutung zu. Um den geistlichen Vater sammeln sich seine geistlichen Kinder. Natürlich gibt es in der Kirche auch geistliche Mütter, die die gleiche hohe Aufgabe übernehmen. Die geistlichen Väter (Mütter) verwirklichen in Christo die Wiedergeburt, über die Christus zu seinem nächtlichen Schüler Nikodemus sprach (Jo 3.), die geistliche Wiedergeburt der Gläubigen. Er ist nicht einfach ein Lehrer oder Pädagoge, sondern der (die), der den Menschen wiedergebärt. Das betont der Ap. Paulus, ein geistlicher Vater vieler in seiner Zeit: «Denn hättet ihr auch zehntausend Schulmeister in Christus, so doch nicht viele Väter; denn in Christus habe ich euch gezeugt durch das Evangelium» (1 Kor 4,15). Der geistliche Vater in Christo schafft andere geistliche Väter. An dieser Stelle sollten wir jedoch ein wenig ausführlicher den Begriff des «geistlichen Vaters» erklären.
Mit geistlicher Vater ist in der kirchlichen Sprache nicht der geistig Gebildete, der Intellektuelle gemeint, sondern derjenige, der den Heiligen Geist in sich trägt, der zum «Tempel des Heiligen Geistes» geworden ist, der Geistesträger. Geistliche Väter sind die Erleuchteten und Vergotteten, die Heiligen. Deswegen werden die großen Lehrer des Volkes, selbst wenn sie als fromme Christen bekannt sind, in der Orthodoxie nur dann als Heilige anerkannt, wenn sie zur Erleuchtung des Heiligen Geistes gelangt sind und dies durch einwandfreie Zeichen (Gnadengaben, Wunder, unversehrte Reliquien u.s.w.) kundgetan haben. Aber dieser Weg (der geistlichen Väter und Mütter) zur Erleuchtung und Vergottung ist nicht die Bestimmung einiger wenigen, einer «Elite», sondern ALLER Gläubigen. Hierin liegt auch die Aufgabe der Gemeinde: eine «Werkstatt der Heiligkeit» und ein «geistliches Krankenhaus» zu werden.
Der Mensch tritt in den Leib Christi (und folglich auch in das Leben der Gemeinde) ein, damit er geheilt wird, damit er die Krankheit des Sündenfalls heilt, die im Trägewerden der Gebetsfunktion des menschlichen «Geistes» und im Verlust des «immerwährenden Gedächtnisses Gottes» (des Herzensgebetes) im Herzen besteht. Der durch die Gedanken und Leidenschaften verdunkelte Geist (íïõò) muss vom «logischen Denken» (der Vernunft, dem Verstand) getrennt werden und ins Herz, wo sein eigentlicher Platz ist, zurückkehren. Die Reinigung des «Geistes»Herzens von den Gedanken und Leidenschaften ist die Heilung des Menschen, die im geistlichen Krankenhaus der Gemeinde vollzogen wird (werden muß). Ohne diese Heilung, die mit der RückkehrAufstieg zum Zustand der Reinheit der «Gottesebenbildlichkeit» vor dem Sündenfall gleichzusetzen ist, kann der Mensch nicht zur Erleuchtung des Heiligen Geistes fortschreiten und als Geschenk auch in dieser Welt die Vollendung der menschlichen Existenz in der ungeschaffenen Gnade und im Reich des Dreifaltigen Gottes empfangen. Wer zur Erleuchtung des Heiligen Geistes gelangt, erwirbt die wahre uneigennützige Liebe und kann in die Gemeinschaft seiner Brüder richtig eingeordnet werden. Wenn wir also den Heiligen Geist in unseren Herzen als Mitbewohner haben, sind wir wirkliche Glieder des Leibes Christi. Anderenfalls bleiben wir ewig Katechumenen («Uneingeweiht» éäéþôáé des 1 Korintherbriefes), selbst dann, wenn wir mechanisch und der Form nach alle Sakramente der Kirche empfangen...
Die Einordnung in das geistliche Leben ist die grundsätzliche und unabänderliche Voraussetzung für die richtige Einverleibung in das Leben der KircheGemeinde, und somit auch für die richtige Kommunikationsfähigkeit des Menschen. Die gesellschaftlichen Tugenden können niemals individuelle Errungenschaften des menschlichen Willens, sondern nur «Früchte» des Heiligen Geistes sein (s. Gal 5, 22: «Die Frucht des Geistes aber ist: Liebe, Freude, Friede, Langmut, Milde, Güte, Treue, Sanftmut, Enthaltsamkeit»). Wo es keinen Heiligen Geist gibt, sind auch Seine Früchte nicht zu erkennen. Das herkömmliche und ererbte Christentum, das sich im Lauf der Jahrhunderte in unserem Leben durchsetzte, ist der Grund für die heutige anomale Situation, in der die Worte Christi «ich kenne die Meinen und die Meinen kennen mich» (Jo 10,14) in unserem Gemeindeleben ihre Bedeutung verloren haben. Daher blieb das Kloster wir betonen es wiederum das Vorbild der KircheGemeinde, da sich dort (wenn es die Tradition bewahrt) der Kampf um die Reinigung und Erleuchtung des Herzens erhalten hat. Deshalb ist eine Orthodoxie ohne Klöster absolut unvorstellbar.
4. Auf der Grundlage der obigen Bezugnahme auf die orthodoxe Spiritualität verstehen wir wesentlich besser die Stellung des Klerus im Leben unserer Gemeinden. Ich werde einige Aspekte dieses Themas unterstreichen.
Zu Klerikern wurden in den ersten Jahrhunderten die geistlichen Väterdie vom Heiligen Geist Erleuchteten und nicht einfach die «Ethischen» und «Gebildeten». Wir wollen nicht vergessen, daß auch die großen Häretiker (z.B. Arius) äußerlich ethisch und unbescholten waren. Geistesträger aber waren sie nicht. Orthodox ist nicht der «ethische» Mensch und der nicht häretische, sondern der, in dessen Herzen der Heilige Geist wohnt, der Erleuchtete. Deshalb schlage ich demütig vor, daß es besser ist, die «freien Pfarrstellen» (Beamtenbewustsein) unbesetzt zu lassen, wenn sich nicht Menschen finden, die, selbst wenn sie nicht «geistliche Väter» in der altkirchlichen Bedeutung des Wortes sind (äußerst selten heute), zumindest Menschen der Metanoia, der Demut, des Gebetes und reich an Klostererfahrungen sind. Die Weihe erleuchtet nicht in magischer Weise; sie setzt die Erleuchtung des Heiligen Geistes voraus. Der nicht Gereinigte und nicht vom Heiligen Geist Erleuchtete wird zum «Lastträger» und nicht zum Träger der Gnade. Gott «wirkt» zwar nach den beruhigenden Worten des Hl. Chrysostomus «auch durch die Unwürdigen», aber die nicht Gereinigten sind außerstande, zu Therapeuten und Ärzten der anderen Unreinen (vgl. «Arzt, heile dich zunächst selbst», Lk 4, 23) zu werden, da sie die Methode der ReinigungHeilung nicht kennen und die Erfahrung des Heiligen Geistes nicht gekostet haben.
Das, was die Orthodoxie heute in der Welt aufrecht hält, sind die Heiligen. Sie verbleiben unsere Ärzte mit ihren Worten (patristische und liturgische Texte), ihren Reliquien und ihren Wundern. Wir haben zwar an den Schriften der Väter festgehaltenen aber sehr oft kennen wir nicht die Heilmethode, die Heilige und Väter hervorbringt. «Wir heilen» nur mit Worten (Gebeten), nicht mit Operationen, da wir uns mit «Zeremonien» und nicht mit der Reinigung der Glieder unserer Gemeinden befassen. Anstatt darum zu kämpfen, mit der Gnade Gottes die Menschen zu heilen, streben wir danach, ihnen einen Platz im Paradies «zu sichern», wobei wir sie allerdings innerlich ungeheilt lassen und uns als Hauptziel setzen, «ethische» und «rechtschaffene» Bürger dieser Welt zu schaffen, gehorsame und gesetzestreue und letztendlich «handliche», aber nicht Bürger des himmlischen (ungeschaffenen und göttlichen) Reiches.
C. Perspektiven und Möglichkeiten
Die Frage stellt sich folglich von selbst: Was kann heute geschehen? Wir werden nicht mit Forderungen antworten, die zwar leicht zu formulieren, aber schwer in die Praxis umzusetzen sind. Wir werden einige unumgängliche Punkte herausheben, ohne deren Beachtung jede wirkliche Erneuerung unseres Gemeindelebens unmöglich ist.
Unbedingt notwendig ist es, daß auch in der heutigen geschichtlichen Wirklichkeit das eschatologische Selbstbewustsein der Orthodoxie gelebt wird. D.h.: wie können wir, alle zusammen und unser Gemeindeleben, orthodox in der heutigen politischkulturellen und sozialen Situation wirken? Das ist übrigens die Haltung der Orthodoxie in jeder Epoche. Sie bewahrt ihre Fortsetzung nicht mittels einer konservativen Verbindung mit der Vergangenheit, sondern, indem sie jeweils ihre Tradition in jedem geschichtlichen Moment im Bewegungsrahmen ihres eigenen ständig vergegenwärtigten Lebens und Zeugnisses vergegenwärtigt. Und dies geschieht eben mit der Aufrechterhaltung dieses ihres Rahmens, in dem ihr Leben zu einem ständigen Erleben werden kann.
Jede Möglichkeit einer dynamischen Rückkehr zu unserer Tradition ist allerdings ausgeschlossen, wenn wir nicht zunächst klarstellen, was wir erstreben; wenn wir uns nicht unseres Zustandes und unseres Abstandes von der originalen Existenzweise der Orthodoxie, (authentische Orthodoxie) bewust werden, und wenn uns nicht der nie verstummende Eros unserer «ursprünglichen Schönheit» beherrscht. Denn ohne sich der Sünde bewusst zu werden, ist, wie wir alle wissen, die Metanoia unmöglich. Es stellt sich aber die Frage: wie wird der heutige Mensch erkennen, welches das authentische orthodoxe Leben ist, wenn er sich nicht in ständigem und direktem Kontakt mit der patristischen Tradition befindet? Bei den Vätern und im Kult der Kirche begegnen wir der unverfälschten christlichen Tradition. Es ist ein Segen, daß in unseren Tagen so viele Ausgaben der Kirchenväter im Umlauf sind. Man benötigt jedoch die geeigneten Schlüssel zum Studium der Väter, und diese kann uns nur der gemäß der patristischen Tradition Wiedergeborene vermitteln.
Nur mit der Hilfe der Väter kann bewusst werden, daß das Hauptziel der Gemeinde nicht darin besteht, einfach irgendein soziales und humanitäres Werk zu verrichten oder sich in «Zeremonien» und «Patronatsfesten» zu erschöpfen, sondern darin, eine lebendige und tätige «Werkstatt» der Rettung Vergottung zu sein, eine Kampfarena gegen den Tod, die Sünde, das Verderben und ein Taufbecken der Wiedergeburt und Auferstehung. Dann wird das soziale (humanitäre) Werk in den Kampf zur Vergottung einbezogen sein; die Gemeinschaftlichkeit und Brüderlichkeit werden die natürlichen Früchte der Gemeinschaft mit der Ungeschaffenen Göttlichen Gnade sein.
Wenn der Gemeinde der eigentliche Sinn ihrer Existenz bewust wird, wird sie aufhören, der Ort einer zufälligen Begegnung zu sein. Sie wird zum absoluten Zentrum des ganzen Lebens werden. Die Pfarrkirche, die heute ein Vollzugsort von Zeremonien oder bestenfalls ein Zentrum zur Befriedigung von religiösen Bedürfnissen ist, wird die gleiche Funktion übernehmen wie das «Katholikon» im Kloster. Wie im Kloster eine ständige Verbindung zwischen Heiligem Tisch, (gemeinsamen) Tisch und Zelle besteht und die Liturgie der Kirche ihre Fortsetzung findet in der Liturgie des (gemeinsamen) Tisches und der Zelle, so dehnt sich auch in einer wirklichen Gemeinde die Liturgie des Gemeindezentrums auf das Haus eines jeden Gemeindemitglieds aus, das ebenfalls zur «Haus» Kirche wird. Die gegenseitige Ergänzung und das Ineinandergreifen von Pfarrkirche und Haus ich würde hinzufügen und Bürgerhaus oder Gemeindehaus ist unbedingt erforderlich. Dann wird die notwendige Einheit des geistlichen und gesellschaftspolitischen Lebens erreicht, die das natürliche Leben der Orthodoxen ist. Diesen Sinn hat auch die Einsegnung «anläßlich des Amtsantritts einer Stadt oder Kommunalbehörde», die wir in unserem Euchologion (Gebetsbuch) finden. (Dort lesen wir z.B. das folgende Gebet: «... du hast uns wieder Führer geschenkt, damit sie im Volk herrschen und Entscheidungen treffen... Du hast uns Führer nach dem Wunsch unseres Herzens geschenkt; gib auch, daß sie in Einsicht herrschen... Mache sie zu Dienern des Guten. Lerne sie deine Wege und leite sie zu deiner Wahrheit, auf daß sie in Unschuld wandeln und in der Wahrheit nicht wanken. Sie sollen dienen und sich nicht bedienen lassen. Sie sollen nicht unter uns herrschen, sondern Du sollst durch sie über uns herrschen...»). So gelangt das Gemeindeleben zu seiner Einheit und Vollkommenheit, die mit den Texten unserer Tradition theoretisch gegeben ist. Die Praxis weicht jedoch davon ab, da sie nicht den Gebeten, sondern fremden Modellen folgt, die in unser Leben eindringen und mit Gewalt aufgezwungen werden.
Diese unsere vollständige Selbsthingabe an das Gemeindeleben fordert aber die unbedingte Durchtrennung aller unserer Verbindungen mit den Fesseln der Welt: den politischen Parteien z.B., den Ideologien, Organisationen und Vereinen welcher Art auch immer , die sich entweder das Werk der Kirche anmaßen oder sie an den Rand drängen und schwächen. Unsere Zeit bietet sich mit all dem Fortschritt, der in Hinblick auf die Neuanpassung unserer Denkweisen festzustellen ist, für eine Neuorientierung unseres ganzen Lebens an.
Diese «Rückkehr» (oder besser: Metanoia) ist mit der Gnade Gottes möglich. Denn Gott wollte, daß das Modell des Gemeindelebens, das könobische Kloster, trotz der Bemühungen vieler, dem entgegenzuwirken, lebendig und aktiv in unserem orthodoxen Leben verblieb. Solange es Klöster gibt, geht unsere Hoffnung nicht verloren. In der Orthodoxie entwickelte sich das Gemeindeleben immer mit dem Lebensablauf im Kloster als Vorbild. Diese unsere Abhängigkeit vom Kloster, die einige «Progressive» (Kleriker und Laien) unserer Zeit als Fluch betrachten, wirkte sich in der Geschichte der Orthodoxie als Segen aus. Das Kloster wurde seit dem 4. Jahrhundert zum Modell und zur Lebensregel unseres kirchlichen Lebens, weil sich die Gemeinden zuvor als Zönobia in der Welt entwickelten, indem sie die Geistlichkeit und die Gemeinschaftlichkeit zu einer unauflöslichen Lebenseinheit verbanden.
Der erste notwendigste Schritt zur Erneuerung des Gemeindelebens wäre wohl die Reevangelisierung von uns allen, unsere Wiederverbindung sei es auch nur theoretisch zu Anfang mit der patristischen Tradition, damit wir erneut mit ihr vertraut werden. Wenn wir nicht im Sinn der Väter zu einer Einheit des Bewustseins in uns gelangen, wenn wir nicht die patristische Gesinnung und den «Geist Christi» erwerben, ist jede Bemühung umsonst, mag sie auch von noch so viel gutem Willen getragen sein. Denn wir leben in einer derartigen geistigen Verwirrung, ein derartiger Irrtum und eine derartige Uneinigkeit beherrscht unser Bewustsein, daß keinerlei Einheit und keine Übereinstimmung erzielt werden kann.
Die ganze Bemühung sollte natürlich durch ein möglichst intensives liturgisches und sakramentales Leben in der Gemeinde unterstützt werden. Unsere Einheit im geistlichen Kampf wird mit der Hilfe Gottes zur Gesinnungseinheit führen, und unsere Gesinnung in Christo zu unserem «Wachstum» und unserer Wiedergeburt in Christo.
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Artikel erstellt am: 10-7-2009.
Letzte Überarbeitung am: 10-7-2009.