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Leben im Leibe Christi ( Einführung in die Orthodoxie )
4. Bezeugte Heiligkeit (Wer ist ein Heiliger?)
Die heiligen Felsen von Meteora sind nicht nur ein Ort der Askese und der ständigen geistigen Umkehr, sondern zugleich auch ein Pilgerort und ein Ort des Segens. Nicht wenige, Griechen wie Ausländer, besuchen sie tagtäglich. Und viele von diesen Ausländern entdecken in Meteora die Orthodoxie und suchen von der göttlichen Gnade erleuchtet diese näher kennenzulernen.
Wenn man in der Orthodoxie über Heiligkeit spricht, so berührt man damit das absolute Zentrum des Lebens der Kirche als «Neue Schöpfung». Denn die Kirche existiert in der Welt, um die ganze Schöpfung nach den Worten des Herrn «werdet heilig» (Lev 19, 2) zu heiligen. Ais Leib Christi ist die Kirche die Gemeinschaft der Heiligung und Vergottung. Sie besteht in der Weit, «um die Heiligen heranzubilden zur Ausführung des Dienstes, zum Aufbau des Leibes Christi, bis wir alle hingelangen zur Einheit des Glaubens und der Erkenntnis des Sohnes Gottes, zur vollen Mannesreife, zum Altersmaß der Fülle Christi» (Eph 4, 1213). Diese bedeutsamen Worte des Apostel Paulus offenbaren das Ziel des Lebens in der Kirche: die Einheit aller im Glauben. Glaube jedoch bedeutet hier die Gegenwart Heiligen Geistes im Herzen. Denn nur im Heiligen Geist gelangen wir zur «Erkenntnis» Christi und werden zu wahren Gliedern des kirchlichen Leibes. Dies ist die «Wandlung» des Menschen in Christus; sie ist mit seinem «Christsein» identisch. Wie aber ist dieser Wandel zu verstehen? Zielt er lediglich auf eine moralische Besserung hin, oder bewegt er sich in der Seinssphäre des Menschen?
Eines der am meisten beunruhigenden Symptome unserer Zeit eine Frucht des allmählichen Wandels der theologischen Kriterien ist die Betrachtung der Rettung, und demnach auch der Heiligkeit, im Rahmen der Ethik, innerhalb der Grenzen der moralischen Bemühung und Besserung des Menschen. Da immer mehr humanistische und moralistische Kriterien vorherrschend werden, versteht man auch dfe Vergottung als ethisches und nicht als ontologisches Geschenen, als Wandel der Natur und der ganzen Existenz des Menschen «der Gnade nach». Nach der orthodoxen Tradition macht «die unsagbare Vergottung» diejenigen, die an ihr Anteil haben, zu «ungeschäffenen, anfanglosen und unbeschreiblichen..., obwohl sie wegen ihrer Natur aus dem NichtSein geschaffen wurden». (Hl. Maximus der Bekenner, P.G. 91, 1144 AB). Durch die Vergottung, die Vereinigung mit Gott in der Gnade; «kehrt Gott» nach dem Heiligen Gregor Palamas «ganz und gar in die ganzen Würdigen ein, und die Heiligen, die den ganzen Gott in sich auf genommen haben, kehren ganz und gar in den ganzen Gott ein». {Für die Hesychasten 3, 1, 27). Der Verlust oder die Abschwächung der hesychästischen Kriterien führte jedoch zur Ersetzung der Spiritualität durch dte Moralistik und der Heiligkeit durch die humanistische Tugendhaftigkeit. Das ist nicht nur ein Problem des westlichen Christentums, sondern auch des östlichen, in seinem weiteren Sinn zumindest.
A. Wer ist ein Heiliger?
Die orthodoxe Tradition der Väter charakterisiert jene Personen als Heilige, die zur Vergottung gelangt sind und diese in der Geschichte bezeugen. Nach dem Heiligen Johannes von Damaskus ehren wir die Heiligen «als diejenigen, die mit Gott aus freiem Willen vereint, diesen in sich wohnend aufgenommen haben und durch dessen Teilhabe der Gnade nach däs wurden, was dieser von Natur ist». Heilige sind «die beseelten Tempel Gottes, die beseelten Wöhnstätten Gottes», da «Gott durch den Geist in deren Körper einkehrte». (P.G. 94,1164 B1T68C).
Der Heilige Johannes von Damaskus (der im 8.Jh. die ganze vorherige väterliche Tradition zusammenfaßte) betrachtet also nur diejenigen als lebendige Glieder der Kirhe, die in einer lebendigen Gemeinschaft mit Gott stehen, die die Stadien der geistlichen Vollendung durchlaufen und, je nach ihrer Empfänglichkeit, an der ungeschaffenen Gnade Anteil haben. Genau diese sind die Heiligen, die wirklichen Glieder des Leibes Christi, die, die zu dem gelangt sind, was das Wort des Apostel Paulus bekennt: «Ich lebe, doch nicht mehr als Ich, sondern Christus lebt in mir» (Gal 2, 20). Dem heutigen Menschen fällt es sehr schwer, dies zu verstehen; denn er lebt in der Überzeugung, daß die Taufe, die er im Säuglingsalter empfangen hat, ausreichend ist für sein Christsein. So kämpft er nicht darum, Christus in allen Lebensbereichen treu zu bleiben, (vgl. 1 Kor 10, 35). Der Heilige Symeon der Neue Theologe (+ 1025) bekennt, daß man nicht allein mit der Taufe Glied der Kirche ist; Voraussetzung ist ebenfalls der «sichere Glaube» (d.h. die Gegenwart des Heiligen Geistes im Herzen). Es gibt also potentielle Glieder der Kirche («der Möglichkeit nach»), die noch um die Heilung von ihren Leidenschaften kämpfen, und wirkliche Glieder («der Tat nach»), die «Vergotteten», die Heiligen. Alle Heiligen besitzen die gleichen Erfahrungen im Heiligen Geist, da sie vom gleichen Geist getrieben werden (2 Petr 1, 21).
Die Heiligkeit ist kein moralisches, sondern ein ontologisches Geschehen. Sie besteht nicht in einer einfachen Besserung des menschlichen Charakters, oder darin, daß er tugendhaft, daß er zu einem «guten» und «gesellschaftlich untadeligen» Menschen wird, sondern im ontologischen Wandel seiner Natur der Gnade nach. Die Heiligen Väter haben uns überliefert, daß alles Geschaffene an der ungeschaffenen Energie Gottes teilnimmt. Die materielle Schöpfung nimmt an der Wesen bildenden Energie Gottes teil, die beseelte an der Wesen bildenden und Leben schaffenden, und die Menschen an der Wesen bildenden, Leben schaffenden und Weisheit schenkenden Energie Gottes; die Engel und Heiligen jedoch nehmen darüber hinaus auch an der vergottenden Energie Gottes teil. Was Gott Seiner «Natur nach» ist, sind die Heiligen «der Gnade nach».
Die Heiligung ist das Gegenmittel zum Sündenfall. Wie mit dem Sündenfall des Menschengeschlechts die menschliche Natur erkrankte (sich zum Negativen hin wandelte), so verwirklicht sich unsere Natur mit der HeiligungVergottung. «Das Verwesliche zieht Unverwesllichkeit an und das Sterbliche Unsterblichkeit» (1 Kor 15, 53). Unsere Natur kehrt nicht nur «zur ursprünglichen Schönheit» zurück, zum Zustand vor dem Sündenfall, sondern schreitet zur Vergottung der Gnade nach, die unsere einzigste Bestimmung ist.
In diesen Zusammenhang wird verständlich, warum das einzig wahre Leben das Leben in Christo ist, an dem alle Heiligen teilnehmen. Alle, die wahrhaft das Leben Christi leben, gelangen zur Verklärung ihrer ganzen Existenz. Sie sind die «ganz und gar», in Bezug auf den Geist, die Seele und den Leib Geheiligten des 1 Thessalonicherbriefs (5,23). Mit der Vergottung gelangt der Gläubige zur «Gottähnlichkeit», zur Vollendung seiner Natur (Mt 5,48; Eph 4,1113; Kol 1,28), zur Sohnschaft (Rom 8,15; Jo 1,12), zur «Verherrlichung» (1 Kor 12, 26). Nach dem Heiligen Dionysius dem Areopagiten «ist die Vergottung das so weit wie mögliche ÄhnlichWerden und die Vereinigung mit Gott». Zur Person des Heiligen Apostel Paulus betont der Heilige Gregor Palamas dessen Wandlung in Christo mit seinem Aufstieg «bis zum dritten Himmel» (2 Kor 12, 2), d.h. dessen Vergottung: «Solange Paulus das Leben lebte, das auf den Befehl Gottes hin aus dem Nichts geschaffen wurde, war er geschaffen. Als er jedoch nicht mehr dieses, sondern jenes lebte, das mit der Einwohnung Gottes gewährt wird, wurde er durch die Gnade ungeschaffen». Die Vergottung, auch in dieser Welt, beschränkt er aber nicht nur auf Paulus oder die Apostel; er betont, daß «auch jeder, der den Gott Logos erworben hat, und zwar lebend und wirkend», zum gleichen Punkt gelangt. So verstehen wir, warum in der Bibel die Heiligen (des A. und N. Testaments) «Freunde» Gottes (Ex 33,11 u.a. Jo 15, 14) und «Kinder Gottes» (nicht «Knechte») (Jo 1,12; Rom 8, 17) genannt werden, da sie zu «Wohnstätten Gottes» werden (1 Kor 6, 19). So wird verständlich, warum es für uns Orthodoxe eine Einheit der Theologie bei allen Heiligen gibt (Propheten, Apostel, Väter). Ihre Einheit gründet in der gemeinsamen Erfahrung ihrer Herzen, in dem einen Christus, der im Heiligen Geist in ihnen wohnt. Aus ihrer Einheit im Glauben folgt jedoch nicht die Identität auch im Ausdruck ihrer gemeinsamen Erfahrungen. Jeder HeiligeVergottete faßt die Theologie (= seine geistlichen Erfahrungen) in seine eigene Sprache und auf die ihm eigene Art. Daher nehmen alle die, die die Voraussetzungen der Heiligen Schrift und der Väter für die Heiligkeit nicht kennen (oder auch verwerfen), völlig verfehlt an (sie werden von der Sprachvielfalt irregeleitet), daß jeder Prophet, Apostel und Vater seine eigene Theologie besitzt. Nach unseren Heiligen Vätern jedoch ist die Theologie der Heiligen einheitlich, da auch die Erfahrung ihrer Vergottung allen gemein ist. Die Propheten des AX werden «Sehende» (Roeh) genannt, und das bedeutet «GottSchauende», «GottSchauende» sind aber auch die Apostel und Väter. AlIe also werden vom gleichen Heiligen Geist «getrieben» (2 Petr 1, 21), und, was sie gesehen haben, bezeugen sie (1 Jo1, 2). Alle Heiligen sind die lebendigen Strahlen des göttlichen Lichtes. Aus diesem Grund auch malt man auf den Ikonen um ihre Häupter das ungeschaffene Licht Gottes, in dem sie leben und sich .bewegen.
Es gibt eine Tradition der Heiligkeit, die, die ganze vor und nachchristliche Epoche, das: Alte und das Neue Testament, duurchzieht. Das bedeutet, daß es auch eine Weitergabe der Methode gibt, die imstande ist, zur HeiligungVergottung zu führen, Bezugspunkt auf dem Weg zur Heiligkeit ist Jesus Christus, fleischlos im Alten Testament und im Fleisch im Neuen Testament und der Kirche. Christus.als Gottmensch bildet den Anfang und das Ende (Ziel) aller Heiligen, der Propheten, Apostel, Väter, und Mütter aller Jahrhunderte. Die jüdische Treue zum Monotheismus darf nicht lediglich als Verharren auf der Religion des Einen Wahren Gottes verstanden werden; zu ihr gehört ebenso die Bewahrung der gottgegebenen Methode der Vergottung. Die Propheten und Gerechten des Alten Testaments lebten und wirkten wie die Starezen der nachchristlichen Köster, d.h. als Therapeuten des Herzens ihrer geistlichen Kinder. Die Reinigung des Herzens von den Leidenschaften war auch im Alten Testament das Ziel des geistlichen Lebens, damit der Mensch zur Erleuchtung der Gnade gelangt. Diese Tradition kommt unter anderem sehr deutlich im 50. Psalm zum Ausdruck, der auch in der Kirche eine besondere Stellung unter den Psalmen einnimmt: «Schaffe mir, o Gott, ein reines Herz; und den rechten Geist erneuere in meinem Innersten». Der «rechte Geist» ist nach der Auffassung der Väter der Heilige Geist, d.h. Seine ungeschaffene Gnade. Diese Tradition bewirkt auch die praktische Einheit des A. und N. Testaments. Der ganzeüberrest (ëåßììá) Israels, das Volk Gottes also im AT., bewahrte diese Tradition lebendig und unverfälscht. Nur der säkularisierte Teil des Israelitischen Volkes, der Kreis der Pharisäer also, der Sadduzäer und der Rabbiner, d.h. die offizielle geistige und theologische Führungsschicht, hatte diese Tradition verloren und war zu einem Stand geworden, der sich berufsmäßig und formal mit der Religion befaßte, ohne irgendwelche innere Bindung mit ihr zu besitzen. Das bekundet das Wort Jesäjas, welches Christus wiederholt, um die Gegenwart dieser säkularisierten Gruppe zu allen Zeiten der jüdischen Geschichte offenkündig zu machen: «Dieses Volk ehrt mich mit den Lippen, doch ihr Herz ist fern vonmir» (Js 29,13; Mt. 15, 8).
Das wahre Israel, der prophetische «Überrest», bewahrte genau diese Annäherung des Herzens an Gott mit der asketischen Methode der Heilung des Herzens von den Leidenschaften und der ständigen Anrufung des Namens Gottes, in dieser Tradition befanden sich alle diejenigen, die Christus als den erwarteten Messias anerkannten (vgl. Mt 16,16) und ihn als Gott und Retter annahmen (vgl. Jo 1, 49; 20, 28); in ihr befand sich also das wirklich fromme Volk, das von den Berufstheologen verachtet würde. (Jo 7,49). Zu dieser Tradition bekannten sich auch die Apostel. Deswegen, und nicht einfach wegen ihrer Güte und ihrer Bereitwilligkeit, wurden sie von Christus aüserwählt. Die Apostel zählten zum frommen «Überrest», der, wie wir dies im Fall des Nathanael sehen (Jo 1s 45 ff.), mit der Erwartung des Messias lebte. Dieser Teil Israels reinigte sein Herz, damit der «Kommende» (Mt 11,3) Retter in es eintrete. Diesen Sinn hatte die Predigt des Vorläufers: «Bereitet den Weg des Herrn, macht seineStraßen eben» (Mt 3, 3). Christus wurde zum StarezHegumen seiner Jünger und führte sie nacheinander zur Reinigung des Herzens (vgl, Jo 13, 10) zur Erleuchtung und zur Vergottung (Pfingsten), Das geschah mit Seiner Lehre, den Wundem, Seiner Verklärung, den Leiden, der Auferstehung, Seiner Himmelfahrt und schließlich dem Pfingstereignis, der höchsten geistlichen Erfahrung in dieser Welt. Ins Pfingstereignis treten mit ihrer Vergottung die Heiligen aller Jahrhunderte ein und werden so mit den Aposteln und Propheten im einen Leib Jesu Christi vereinigt.
Zur gleichen prophetischen Tradition des wahren Israels gehörten aber auch die Mutter unseres Herrn, die Allheilige, und Johannes der Täufer. Diese zwei Personen bilden den Gipfelpunkt der ganzen alttestamentarischen Heiligkeit. «Größter unter den vom Weibe Geborenen» wurde vom Herrn selbst (Mt 11,11) der Vorläufer genannt. Als «ehrwürdiger als die Cherubim und unvergleichlich herrlicher als die Seraphim» wird die Gottesgebärerin vom Leib Christi, der Kirche, gepriesen. Beide Gestalten waren Asketen im kirchlichen Sinn des Wortes, d.h. «Hesychasten», die den Weg der Vergottung aller Heiligen beschritten, der sich mit dem folgenden Schema ausdrücken läßt: ReinigungErleuchtungVergottung. Deshalb wurden sie auch in der orthodoxen kirchlichen Tradition zu Beschützern der Asketen und zu Vorbildern der wahren Askese erklärt. Das kommt auch in ihrer Abbildung an der Ikonostase, rechts und links von Christus, in einer ikonographischen Einheit, die sich «Fürbitte» nennt, zum Ausdruck.
Die Gottesgebärerin wird vom Heiligen Gregor Palamas, natürlich in Verbindung mit ihrer Eigenschaft als Gottesmutter, «das große Wunder der Ökumene» (Horn. 37) genannt. Die Hymmographie des Tempelgangs bezeichnet sie sogar als «Wunder des Universums»; denn sie ist wirklich «der Gott nach Gott», sie wurde zum «Gefäß des Unfaßbaren», und mit ihrem Eintritt ins Allerheiligste gelangte sie zur TheoriaGottesschau. So «ist sie der einzigste Berührungspunkt zwischen geschaffener und ungeschaffener Natur» (Gr. Pal. Horn. 14). Die Orthodoxie schreibt ihr ohne scholastische Ambitionen nicht mehr zu als das, was die Gnade Gottes ihr gewährte, indem Er in ihr Wohnung nahm, worauf sie schließlich zur Mutter Gottes wurde. Im Alter von drei Jahren gelangt Maria in den Zustand der Erleuchtung durch den Heiligen Geist und verbleibt ständig in ihm. Das offenbaren die Worte des Heiligen Gregor Palamas (Horn. 52, 13): «Sie wurde nicht nur einmal ins Allerheiligste geführt, sondern sozusagen von Gott in Empfang genommen, um mit Ihm für nicht wenige Jahre zusammenzuwohnen». In dieser Lebensweise verblieb sie «nicht nur über jede Befleckung des Fleisches, sondern auch über die der verunreinigten Gedanken erhaben» (Ibid.). Daher bezeichneten wir die Gottesgebärerin als Vorbild des Hesychasten. Sie befindet sich auf der direkten Linie der gleichen Tradition, die den Kampf mit den Gedanken und deren Bewältigung kennt. Das gleiche verkündet der Heilige Gregor Palamas auch über den Vorläufer: «Er war nicht nur der Vorläufer Christi, sondern auch der Seiner Kirche und unseres Lebens». (Horn. 40, 21). Auch er wird als «über Propheten, Heilige und Gerechte erhaben» und als «Wunder der Wunder» bezeichnet (Ibid.).
Der Heilige Johannes von Damaskus führt, die väterliche Tradition zusammenfassend, die Gründe an, weswegen wir die verschiedenen Gruppen unserer Heiligen ehren:
Unsere Kirche ehrt die Gottesgebärerin: «hauptsächlich und wahrhaft als Mutter Gottes».
Den Vorläufer: «als Vorläufer und Täufer, als Apostel und Märtyrer».
Die Apostel: «als Brüder des Herrn, als Augenzeugen und Diener Seiner Leiden».
Die Märtyrer: «als Soldaten Christi, die an Seinen Leiden und Seiner Herrlichkeit teilnehmen».
Die Heiligen (Asketen) ehrt sie schließlich: als «die, die das langwierigste und schmerzhafteste Martyrium, das des Gewissens, erdulteten».
Was natürlich den zum scholastischen Denken neigenden und von der Vernunft beherrschten christlichen Verstand schockiert, ist die Tatsache, daß die Ehrung der Heiligen nach der Tradition der Väter auch den Charakter der VerehrungAnbetung besitzt. Das rührt daher, daß die Heiligen ein Christi sind. Christus wird, wie bekannt, atsGottmensch verehrt. In dergleichen Weise wird auch die Göttliche Eucharistie verehrt. Die Heiligen mit derGottesgebärerin an der. Spitze werden als vergottete Menschengeehrt». d,h.. als. Götter und Ungeschaffene der Gnade und nichtder Natur nach. Zugleich aber wird in ihrer Person auch Gottselbst, dem sie der Gnade nach ähnlich wurden, verehrt. Nachdem Heiligen Hieronymus (Briefe, 109,1): «Ehren wir die Heiligen,damit diese Ehrung zu Gott aufsteigt».
B: Bezeugte Helligkeit
Eine Frage jedoch, die leicht aufkommen kann, istrfolgende: Wie geschaht in der Orthodoxen Kirche die «Anerkennung», der Heiligenund ihre Einordnung ins Hagiologium; Welche Kriterien und welche Grundsätze sind dabei maßgebend;
Es ist wiederholt klargestellt worden, daß in der orthodoxen Tradition «die Anerkennung der von Gott verherrlichten Personen, derjenigen also, die Ihm wohlgefielen, und ihre Einordnung in den Chor, der Heiligen durch das allgemeine kirchliche Bewusstsein von Hirten und Gläubigen geschah, geschieht und geschehen soll (...] Und zwar, ohne jede weitere Initiative und offizielle Einmischung der kirchlichen Führung». Zugleich aber ist es eine Tatsache, daß die spontane und einheitliche Anerkennung; der Heiligkeit nie eine willkürliche Angelegenheit war; sie stützte sich auch nicht auf den guten Ruf oder die Moralität sondern auf greifbare und wahrnehmbare Zeugnisse, d.h. auf vorhaben kommender Hinweist der Wirklichkeit der Vergottung. Der große Theologe der neueren Zeit, Eugenius Voulgaris (17161806) bemerkt charakteristisch zur Anerkennung der Heiligen: «Gepriesen sei Gott, der Seine Wahrheit auf der Erde nicht unbezeugt läßt» (vgl. Apg 143, 17). Sowohl Voulgaris als auch andere Theologen unsere Kriche vor ihm berufen sich in der Frage der Anerkennung der Heiligen auf das Wort des Ap. Paulus? «Denn nicht der ist bewährt, der sich selbst empfiehlt, sondern der, den der Herr empfiehlt» (2 Kor 10,. 18). Im Einklang mit der jahrhundertealten kirchlichen Praxis werden die Heiligen nicht auf der Basis moralistischer, soziologischer und innerweltlicher Kiriterien anerkannt, sondern erst, nach der Offenbarung ihrer Heiligkeit von Gott selbst durch unbestreitbare Zeichen, die jeder Kritik widerstehen jeden Zweifeil beseitigen. Die offizielle Heiligsprechung der Orthodoxen Kirche bedeutet also nicht irgendeine Ehrenbezeugung oder ethische Belohnung für gewisse Verdienste; es handelt sich vielmehr um die Bestätigung der Wirklichkeit der Vergottung.
Spezielle Kanonisten haben die in der Praxis der Orthodoxen Kirche geltenden Vorraussetzungen für die Kanonisation folgenderweise zusammengefaßt:
a) Die Eigenschaft des Gliedes der Kirche («durch die Heilige Taufe»),
b) das Martyrium für den christlichen Glauben,
c) das in allem heilige Leben,
d)«ganz außerordentliche Verdienste um die christliche Religion und die Kirche» (z.B. Konstantin der Gr.) und
e) «die Bezeugung von Wundern, die auf die Fürsprache der heiligen Person, entweder im Leben oder nach dem Tod, durch Gott vollzogen wurden und werden».
Diese Punkte wiederholen sich bei der Begründung aller Fälle von Heiligsprechungen in den letzten Jahrzehnten.
Wenn wir einmal vom Fall des wirklichen Martyriums «für Christus» absehen, das an sich schon die Vergottung offenbart, so kann «das in allem heilige Leben?» als Beleg, der Heiligkeit das muß in diesem Zusammenhang betont werden nur von denjenigen bezeugt werden, die sich im. Zustand der Erleuchtung durch den Heiligen Geist befinden; denn, «der Geisterfüllte beurteilt alles, wird jedoch selbst von niemand beurteilt» (1 Kor 2, 15). Die «Geisterfüllten», d.h. die, die die Erleuchtung des Heiligen Geistes besitzen, verfügen über die Kraft, die Geistesträger zu unterscheiden und folglich die Heiligkeit, des Herzens fest zusteilen.
Die einfache äußerliche Hochachtung, oder, nach dem heutigen Auffassung, der Urteilsspruch des Volkes reichen; also nicht dazu aus.
Das schwächste jedoch und zugleich gefährlichste Kriterium der Kanonisation sind die «außerordentlichen Verdienste» um die Kirche. Es kann, entsprechend ausgelegt, für alle möglichen Zwecke mißbraucht werden. Das Beharren der Griechischen Kirche darauf, eine klare Trennlinie zwischen Glaubensmärtyrern und Nationalmärtyrern zu ziehen, bezeugt deutlich die Übertreibungen oder auch die Mißbräuche, zu denen die Anwendung dieses Kriteriums führen kann, zumal dann, wenn es zu Lasten der anderen überbetont wird.
Die ständige und unverrückbare Überzeugung der Heiligen Väter ist es, daß die Heiligkeit auf der Basis ihrer Offenbarung von Gott selbst durch den Vollzug (echter) Wunder anerkannt wird. Dieses Kriterium ist kirchlich das sicherste und überwiegt auf dem Gebiet der orthodoxen Hagiologie. Der Patriarch von Jerusalem, Nektarius (16601669) überliefert in wenigen Worten die diesbezügliche kirchliche Erfahrung: «Drei Punkte so schreibt er betrachtet man als Zeugnisse der wahren Heiligkeit unter den Menschen: die unbefleckte Orthodoxie; das Erlangen aller Tugenden [...] und schließlich das Wirken übernatürlicher Zeichen und Wunder von Gott. Das erste ist äußerst notwendig zur Rettung, das zweite zur Erlangung der Heiligkeit. Aber auch das dritte ist äußerst notwendig, und zwar zum Beweis». Dieser Text, der auf eine westliche Provokation hin geschrieben wurde, ist wegen seiner theologischen Vollständigkeit und Klarheit sehr wichtig. Er differenziert einerseits die wahre Heiligkeit von der mutmaßlichen, und andererseits lokalisiert er die Bestätigung der Heiligkeit auf der göttlichen und nicht auf der menschlichen Seite.
Der Heilige Nikodemus der Hagiorit (17491809), der diese Sätze des Patriarchen Nektarius voraussetzt, kommt auf dieses Thema zurück und gibt uns unserer Meinung nach die letztendliche Fassung der kirchlichen Praxis in seinem «Neuen Martyrologium». «Die Ansicht so schreibt er der Lehrer unserer Kirche ist, daß die Gebeine der Asketen nicht als heilige verehrt werden sollen, wenn Gott nicht durch sie Wunder wirkt, oder zumindest sie durch Wohlgeruch ehrt, da deren Glaube und Liebe im Verborgenen zu Gott den Menschen nicht offenkundig ist». Er fährt jedoch fort: «Die Gebeine der Märtyrer werden auch ohne Wunder und Wohlgeruch als heilige verehrt, da allen deren vollkommener Glaube und vollkommene Liebe zu. Gott an Hand des tätigen Beweises des Martyriums offenbar wird. Die Wunder schließlich sind eine Art Folge dieses vollkommenen Glaubens und der Liebe, die sich offensichtlich auch vorher in den Märtyrern befanden, und werden daher fast als überflüssig für den Beweis betrachtet». Die Wunder bleiben also direkt mit der Heiligkeit verbunden. Im Fall der Ehrung der Märtyrer besitzen sie lediglich keine erstrangige Bedeutung als Beweise, da das Martyrium an sich bereits die Wirklichkeit der Vergottung bestätigt. Außerdem bilden allein schon die wahren Reliquien der wirklichen Heiligen ein ständiges Wunder mit der Überwindung der natürlichen Verderbnis und Verwesung und der Aussetzung der natürlichen Auflösung des Zellsystems. Aber auch an diesem Punkt muß betont werden, daß die Wunder in vielen Fällen die Echtheit des Martyriums bestätigen, d.h. ob es in Christo und in der Gnade des Heiligen Geistes geschah.
Die Voranstellung und Hervorhebung der «Herrlichkeit von Seiten Gottes» bei der Offenbarung der Heiligkeit bildet die ständige Tradition unserer Kirche und ging daher im Lauf der Jahrhunderte in ihr theologisches Schrifttum ein. Ich werde Sie nicht mit Beispielen aus der alten Kirche ermüden (z.B. der Heilige Spyridon, 4. Jh.). Ich beschränke mich auf den Fall des Heiligen Gregor Palamas, den unsere ganze Orthodoxe Kirche so sehr verehrt. Die Heiligsprechung des Heiligen Gregor Palamas (1359) war sogar die erste in der Geschichte der Orthodoxie, die mit einem Erlaß der Heiligen Synode geschah. Diese brachte damit natürlich das katholische Bewustsein der Fülle des Kichenleibs zum Ausdruck. Charakteristisch jedoch ist, daß sich die Heiligsprechung auch im Fall des Heiligen Gregor Palamas nicht auf seine theologischen Werke oder seine asketische Eigenheit, sondern ganz konkret auf seine Wunder stützte. Sein Schüler und Biograph Philotheos Kokkinos (Ökumenischer Patriarch 1354/55, schreibt: «...Ich liebe und ehre diesen als Heiligen wegen seiner Wunder, die er nach seiner Entschlafung hier zu Gott wirkte; denn seih eigenes Grab machte er Zur Quelle von Heilungen».
Aber auch nach dem Fall Konstahtinopels wird die gleiche Haltung gewahrt. Man beobachtet sogar eine Steigerung in der Betonung der Wunder als Kriterium der Heiligkeit. So lesen wir z.B. im Fall der Heiligen Märtyrerin Philothei von Athen im Erlass des Patriarchats zur Anerkennung ihrer kirchlichen Ehrung: «Da mit Sicherheit offenbar wurde, daß der göttliche Leib der Hefligen Philothei erfüllt von Wohlgeruch ist und ständig Myron verströmte darüber hinaus aber auch den hinzutretenden Kranken und Bedürftigen Genesung und Heilung verleiht [...] hat es uns gefallen...». Zum Heiligen Gerasimos von Kephallinia bemerkt der Erlaß des Patriarchats: «... Da es Gott in unseren Tagen gefallen hat, den heilig und Gott wohlgefällig lebenden [...] göttlichen Gerasimos zum Vorbild des Lebens in Christo und zum Inbegriff der göttlichen Tugend werden zu lassen, da die Tugenden und Taten in seinem Leben nicht nur von den Menschen bewundert und überall von den um sie Wissenden verkündet werden, sondern auch von Gott noch um vieles mehr durch die tagtäglichen Wunder, die die Gnade des freigebigen und vom Guten beherrschten Geistes wirkt, bestätigt und besiegelt werden...».
Doch nun zu unserer Zeit: Im Erlaß des Patriarchats zur Kanonisierung des Heiligen Nektarius von Ägina steht unter anderem folgendes: «..sowohl im Leben als auch nachdem Tod der Gnadengabe der Wundertätigkeit von Gott gewürdigt... » und: «...unterBerücksichtigung des heiliget Lebens und der heiligen Entschlafung dieses Heiligen Mannes, zugleich aber auch der Wunder, die durch ihn geschahen und jetzt noch geschehen». Der gleichen Betonung der Wunder begegnen wir auch im Fall: des Heiligen Maximus des Griechen zu dem das diesbezügliche DokumentVorschlag an die Heilige Synode der Kirche Griechenlands bemerkt: «er wurde zum Bekenner und in Wundern wurde er verherrlicht».
Das Kriterium der «außerordentlichen Verdienste» um die Kirche steht in der kirchlichen Praxis nie für sich isoliert da. Das beweist der niemals verstummende Mund des orthodoxen Bewustseins, der orthodoxe Kult. Auch in diesem Fall verlangt das kirchliche Bewustsein nach einer Bestätigung der Heiligkeit der bestimmten Person von oben. Der wohl am meisten charakteristische Fall in diesem Zusammenhang ist der Konstantins des Gr. Das, was wesentlich für seine Einordnung unter die Heiligen sprach, ist nach der Hymnographie des Festes die Erfahrung seiner Gottesschau (die Vision des Kreuzes), die von Seiten Gottes seine Auswahl bezeugte: «Der am Himmel das Bild des Kreuzes sah [...], der demnach die Gnade des Geistes empfing». Und: «der wie Paulus ohne Vermittlung eines Menschen die Berufung vernahm». Parallel dazu werden auch die greifbaren Beweise seiner Heiligkeit betont: «aus dessen Reliquienschrein Heilungen hervorströmen».
Beachtenswert ist außerdem, das der Glaube an die Offenbarung der Heiligkeit durch Wunder im Bereich der volkstümlichen Religiosität, die, wie bekannt, viele hesychastische Elemente in ihrem geschichtlichen Gedächtnis, aber auch in ihren Praktiken bewahrt, geschichtlich eine starke Dynamik entwickelte. So ist z.B. sehr weit im orthodoxen Volk der Glaube verbreitet, daß «der Heilige, wenn er keine Wunder vollbringt, nicht verherrlicht wird». Es handelt sich hier um ein Sprichwort, dem wir in verschiedenen Variationen sowohl in seiner wortwörtlichen als auch in seiner übertragenen Bedeutung nicht nur im griechischen Volk begegnen, sondern auch in anderen orthodoxen Völkern, ja sogar auch im Westen, was auf das hohe Alter dieser Überzeugung und deren tiefe Verwurzelung in der Volksfrömmigkeit hindeutet.
Der unvergeßliche V. Georg Florovsky sagte, daß «das Christentum eine Religion der Historiker ist»; er betonte die «Geschichtlichkeit der christlichen Religion». «Geschichtlichkeit» aber bedeutet Realismus und Erfahrung. Das zeigt sich auch im Fall der Heiligen. Ihre Vergottung ist eine greifbare Erfahrung. Aber auch deren Anerkennung basiert auf greifbaren Beweisen. So besitzt der orthodoxe Glaübige ein konkretes Zeugnis der
Bestimmung seiens Lebens und mit dem Leben der Heiligen als Vorbild prüft und gegelt er ständig seinen geistlichen Kurs. Indem er so «mit allen Heiligen», wiewir in einem Gebet der Liturgie lesen, fortschreitet, besitzt er die Gewißheit, dass er dem einzig sicheren und bewährten Weg zu seiner Vergottung folgt.
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Artikel erstellt am: 10-7-2009.
Letzte Überarbeitung am: 10-7-2009.